Allgemeinverfügung oder doch lieber eine Kiste Bier
Seit die Politik außerhalb der Pirmasenser Kolonie eine sogenannte Allgemeinverfügung erlassen hat, sind viele unserer Mitgliederinnen verunsichert. Es gehen die bange Fragen um: Gelten diese Regeln auch innerhalb der Kolonie? Wie sollen wir uns verhalten? Werden wir bestraft?
Auf Grund dessen fanden sich die Vorstandsfrauen zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen. Als Geistliche Leiterin gehöre auch ich dem Vorstand an.
Meine Aufgabe ist es nun, über unsere Beschlüsse zu informieren. Daher richte ich meine Erläuterungen an die Geistliche Hütte, die aus den Autorinnen dieser Internetseite besteht. Claude Otisse, Fetthans Pirmasens, Pfarrer Theophil Meisterberg, Terroristin Svetlana und Hunde-Tommy sollen die Information an alle Teile der Kolonie in Europa und Übersee weiter geben.
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Allgemeinverfügung und Geistliche Hütte
Damit sie wissen, was sie sagen sollen, habe ich diese Konferenz einberufen. Zu sechst sitzen wir um den großen Eichentisch herum. Vor mir steht der Computer. Daneben liegt mein Handy. Außerdem benutze ich noch ein Blatt Papier mit meinen Notizen, das ich aus einem Buch über den Briefwechsel von Walter Benjamin und Gershom Scholem aufbewahrt habe.
Augenblicklich, als ich den Mund öffne, um das erste Wort zur Begrüßung auszusprechen, fragt Hunde-Tommy: „Ist das hier die Allgemeinverfügung?“
„Nein, das ist keine Allgemeinverfügung. Das sind die Beschlüsse des Vorstands in Stichworten. Mehr steht nicht auf diesem Blatt.“ Hunde-Tommy nickt mit dem Kopf. Aber so wie ich ihn mittlerweile kenne, bedeutet das Nicken keineswegs Zustimmung. Diese Geste sagt bei ihm eigentlich nichts. Außer vielleicht, dass er sich nachher mit seinen Kefir-Bechern beraten wird. Was er aber immer macht, wenn er etwas nicht versteht. Ich glaube, die Kefir-Becher nehmen ihm die Angst und erklären ihm etwas.
Fetthans Pirmasens fürchtet eine Anklage
Wieder will ich die Runde begrüßen, als Fetthans Pirmasens die Stimme erhebt: Wenn die Allgemeinverfügung dort im Computer steht, werde ich jetzt angeklagt?“ Über diese Frage staune ich nicht schlecht. Denn mir ist völlig schleierhaft, warum ausgerechnet Fetthans Pirmasens eine Anklage fürchtet.
Natürlich, ja. Wenn das Gericht zusammentritt, dann klagt es auch jemand an. Es ist nun mal der Zweck eines Gerichts, Anklage zu erheben. Da aber das Gericht nicht tagt, muss Fetthans Pirmasens auch nicht fürchten, angeklagt zu werden.
Weil dem so ist antworte ich: „Nein, Fetthans. Du wirst nicht angeklagt, weil das Gericht zur Zeit gar nicht tagt. Würde das Gericht tagen, dann wäre ja auch gar nicht sicher, dass sie dich anklagen würden. Und nochmal nein, auch im Computer steht keine Allgemeinverfügung. Sondern nur das Protokoll der Vorstandssitzung ist dort gespeichert.“
Das Präsidentinnenpaar darf nicht verreisen
Nun wage ich den nächsten Versuch, mit der Begrüßung meinen Vortrag der Vorstandbeschlüsse zu beginnen. Aber jetzt fällt mir Terroristin Svetlana ins Wort: „Waren Präsidentin Lisa Berg und ihre Ehefrau Saskia auch dabei?
Ausgerechnet Svetlana kommt mir so einer blöden Frage. Selbstverständlich war das Präsidentinnenpaar dabei. Aber gut. Da Terroristin Svetlana unsere Präsidentin noch nicht persönlich kennenlernen durfte, erkläre ich geduldig, warum das hohe Paar dabei gewesen ist.
Otisse denkt an Saskia
„Ja, Svetlana. Das Präsidentin Lisa Berg und Saskia waren anwesend. Im Vorstand ging es schließlich darum, wie sich die Pirmasenser Kolonie zum Coronavirus stellt, wie wir mit der Allgemeinverfügung draußen umgehen und was wir innerhalb der Kolonie tun sollen. Außerdem ist Lisa Bergs Privatschule geschlossen und nach Mallorca können die beiden sowieso nicht fliegen. Also kamen die beiden zur Sitzung.“
Bevor ich jetzt noch einen vergeblichen Versuch starte, die Runde zu begrüßen, schaue ich vorsichtshalber in die Gesichter von Claude Otisse und Pfarrer Theophil Meisterberg. Diese Männer wirken geistig stumpf und desinteressiert. Womöglich haben Otisse und Theophil in den vergangenen Tagen vor lauter Langeweile extrem viel Gottbier gesoffen.
Genau so sehen sie nämlich aus. Wenn ich gewusst hätte, dass Otisse ein so schlimmer Alkoholiker ist, hätte ich nie mit ihm geschlafen. Und niemals die Hütte geteilt. Ja, das mit Otisse habe ich schnell bereut. Der hat mir seine Zuneigung sowieso nur vorgespielt, weil mir an die Wäsche wollte.
Auch das hier passt zu ihm. Otisse will wissen: „Sieht Saskia noch so gut aus? Meinst du, die schlafen noch miteinander, Lisa Berg und Saskia?“ Irgendwie hatte es schon geahnt. Tatsächlich kommt also eine sexistische Frage von Otisse. Mich wundert fast, warum er nicht gleich wissen will, ob Saskias Arsch noch immer so drall ist wie er war. Besoffene Männer stinken nicht nur, die haben auch noch Scheiße im Gehirn.
„Ja, Otisse! Saskia sieht wie immer sehr gut aus. Das andere weiß ich nicht. Außerdem geht dich das Sexleben des Präsidentinnenpaares überhaupt nichts an. War das alles, Otisse?“ Er sagt nichts mehr. Gut, wenn er die Klappe hält. Dafür will der Pfarrer etwas wissen, das immerhin zum Thema dieser Konferenz gehört, das etwas mit der Allgemeinverfügung zu tun hat.
Der Pfarrer sorgt sich ums Gottbier
„Wer liefert jetzt das Gottbier? Nach dem der Händler in der Arnulfstraße geschlossen wurde?“ Diese Frage ist leicht zu beantworten: „Ja, Theophil, es stimmt. Der Schnapsladen ist wegen der Allgemeinverfügung geschlossen. Aber der Händler liefert trotzdem aus. Du darfst nur nicht in den Laden hinein. Außerdem stehen noch mindestens 20 Kisten im Lagerraum.“
Gerade als ich einen letzten Versuch unternehme, mit der Begrüßung die Konferenz der Geistlichen Hütte zu eröffnen, stehen Hunde-Tommy, Theophil und Otisse von ihren Plätzen auf und verlassen den Eichentisch. Ich sehe, wie alle drei zum Lager mit den Gottbier-Kisten gehen. Denen ist offensichtlich das Saufen wichtiger als die Allgemeinverfügung und das Coronavirus.
„Die haben nur Schiss“, meinte Svetlana. „Ich kenne das von meinen Ex-Genossen. Die Männer tönen groß ‚rum. Aber wenn es dann zur Sache geht kneifen sie.“
Ester Berlin