Wohnung: Auf einen Caffè Latte nach Pirmasens
„Ich suche eine Wohnung. Können Sie mir sagen, wo ich in Pirmasens eine günstige Wohnung finde?“
„Ich? Wieso ich? Schauen Sie doch mal in der Zeitung oder dem Internet nach. Es stehen viele Wohnungen leer in dieser Stadt.“
„Ja, das weiß ich. Aber wissen Sie, so eine Wohnung ist zu teuer für mich. Trotzdem will ich in keinen Hasenstall ziehen!“
„Wenn Ihnen das Geld für die Miete fehlt, wo wohnen Sie denn jetzt?“
„In Kaiserslautern. Dort hat man mir eine Wohnung zugewiesen.“
„Sind dort die Mieten günstiger als in Pirmasens?“
„Nein. Im Allgemeinen nicht. Nur dort, in der Siedlung, wo ich wohne, da ist es billig. Denn diese Blocks gehören der Stadt.„
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Warum er die Wohnung wechselt
„Sie haben wenig Geld. Sie wohnen günstig. Aber Sie wollen umziehen? Warum wollen Sie die Wohnung wechseln?“
„Ja, unbedingt. Die vielen Kinder. Das ewige Geschrei. Die ständig fickenden Nachbarn und die dauernde Sauferei. Ich halte das alles nicht mehr aus. Außerdem bin ich in Pirmasens geboren und aufgewachsen.“
„Ach so! Und jetzt wollen Sie zurück in die alte Heimat?“
„Alle Pirmasenser zieht es irgendwann wieder heim.“
„Das habe ich auch schon gehört. Was machen Sie in Kaiserslautern?“
„Nix. Ich bin arbeitslos. Genau genommen sogar obdachlos.“
„Obdachlos bin ich auch. Und das schon lange.“
„Macht ja nix. Das ist doch sogar besser so. Also ich will nicht mehr arbeiten gehen. Jedenfalls will ich nicht die Sklavenarbeit vom Jobcenter annehmen. Das ist alles Scheiße, was von denen kommt.“
Der Abstieg eines Arztes
„Da haben Sie absolut Recht. Was die Fördern und Fordern nennen, meint nichts als Strafen und Unterdrücken. Den Sklaventreibern zeige ich auch nur den Stinkefinger. Was haben sie denn früher gearbeitet?“
Ich war Augenarzt. Mit eigener Praxis mit allem Pipapo. Das lief alles super. Bis ich krank geworden bin. Dann ging‘s ganz schnell abwärts. Nicht nur die Praxis, sondern auch das Haus und das Auto war irgendwann weg. Und Sie? Was haben Sie vorher gemacht?“
„Sieh‘ an! Sieh‘ an! Sogar die Pfaffen werden arbeitslos. Das ist ja witzig. Sowas hätte ich gar nicht gedacht. Also ist es kein Wunder, dass es Sie nach Pirmasens gezogen hat. Wie lange sind Sie schon hier?”
Theophil will Pirmasenser werden
„Erst seit ein paar Wochen. Jetzt will ich erstmal ein richtiger Pirmasenser werden!“
„Oh, das wird nicht gehen. Nur weil Sie Hartz-IV bekommen, macht Sie das noch lange nicht zum Pirmasenser. Ein Pirmasenser muss hier geboren und aufgewachsen sein. Wenigstens bis zum Abitur.“
„Wieso soll ich kein Pirmasenser werden können? Ich wohne hier. Ich lerne die Stadt, ihre Leute und ihre Sprache kennen. Irgendwann werde ich doch endlich dazu gehören?“
„Ihre Absicht ehrt Sie. Klare Sache. Aber Sie können so ehrgeizig sein wie Sie wollen. Ein echter Pirmasenser sind Sie deswegen noch lange nicht. Denn Pirmasens lebt im Herzen, nicht im Kopf.“
„Dann sagen Sie mir doch mal, was ich machen soll, damit ich Pirmasenser werde?“
Nix! Geben Sie jeden Ehrgeiz auf! Bleiben Sie was Sie sind, ein Zugezogener. Aber sammeln Sie trotzdem weiter Ihre Erfahrungen. Einem Fremden hilft das bestimmt, sich in der Stadt zurechtzufinden und ein Freund von Pirmasens zu werden. Denn lieben können Sie diese Stadt!“
Keine Angst vorm Du
„Apropos Fakten. Mein Name ist Theophil Meisterberg. Wie heißen Sie?“
„Hunde-Tommy. Ich bin der Hunde-Tommy. Früher nannte man mich Dr.Thomas Busenberger. Lass‘ und Du sagen!“
„Ja, genau. Lass‘ uns Du sagen. Ich glaube, Du bist in Ordnung. Du kannst mit mir kommen. In der Pirmasenser Kolonie wird sich noch ein Schlafplatz für Dich finden. Willst Du noch einen Caffè Latte?“ Ich lade Dich ein!“
Gerne. Das hier ist übrigens das Café Venezia.“
„Was sie Veez nennen?“
„Ja, das Eiscafé Venezia. Das gibt es schon ewig. Für die Pirmasenser ist es ein besonderer Ort. Hier vereinen sich die Jugenderinnerungen mit den ersten Sonnenstrahlen des Frühlings beim Geschmack des Sommers. Hier sind wir eins mit dem Geist von Pirmasens.“
Gescheitert, aber aufrecht
Anmerkungen von Claude Otisse
Nach dem Caffè Latte machen sich die beiden Männer auf den Weg zur Kolonie im Westen der Stadt. Sie finden sofort in den Gleichschritt. Derart getaktet marschieren sie vorbei am großen Brunnen, der zwischen den geschwungenen, von mächtigen Stierhörnern gekrönten Schlosstreppen herab stürzt.
Über der Treppe sich am Fuß des Berges Horeb erheben sich die Türme der St. Pirmin-Kirche. Die Passanten in der Fußgängerzone machen Theophil und Hunde-Tommy respektvoll und doch freundlich Platz. Denn die Menschen spüren die Entschlossenheit der beiden Männer, mit der sie ihrem Ziel entgegen gehen.
Eine grauhaarige Frau dreht sich mit fragendem Blick nach den Männern um. Wer mögen diese Gestalten sein? Obwohl in die Lumpen der Armut gehüllt, obwohl kaum gewaschen, gehen diese Männer aufrecht. Mit erhobenem Haupt tragen sie ihre Kraft in diese Stadt hinein.
Sollen die Armen sich der Armut schämen? Diese hier tun es nicht.
Es ist der erkennbare Verstoß gegen die ungeschriebenen Regeln. Der offensichtliche Widerspruch von verschlissener Kleidung und selbstbewusster Haltung versetzt manche in Erstaunen. Andere empören sich sogar. Die Empörten spucken hinterrücks gegen Theophil und Hunde-Tommy aufs Pflaster.
Hartzer, arme Menschen wie diese hier, dürfen keinen Stolz besitzen. Die ihnen zugedachte Rolle ist die unterwürfige Dankbarkeit für das Almosen aus der Hand der Besitzenden. Geduckt, mit der Scham eines Bettlers beladen, sollen sie den Blick senken und den Weg für die Erfolgreichen freigeben. So lautet das ungeschriebene Gesetz.
Doch Theophil und Hunde-Tommy bieten eine völlig unerwartete Vorstellung auf der Bühne der Eitelkeiten. Wie ein Transvestit in erotischen Frauenkleidern die Zuschauer über sein wahres Geschlecht täuscht, so täuschen diese beiden mit ihrem Äußeren ein bitteres Elend vor. Das allerdings ist ihrer geistigen Haltung in keiner Weise zu eigen.
Theophil und Hunde-Tommy provozieren mit ihrer stolzen Lebensart all jene, die sich auf in der Sicherheit ihrer Arbeitsplätze und Karrieren wähnen und auf diese Männer herab schauen zu können. Denn Theophil und Hunde-Tommy führen deutlich vor Augen, wie brüchig die bürgerlichen Existenzen sind. Ihre Lebensläufe zeigen, wie kurz der Weg vom feinen Eigenheim in die Bretterbude sein kann.
Fotos: Pfarrer Theophil Meisterberg
Text: Pfarrer Theophil Meisterberg