Ohne Mops weg, mit Mops zurück
Jede Stadt besitzt helle und finstere Orte. Die hellsten Orte finden sich auf geteilten Fotos im Internet und natürlich in gerne verschenkten Prospekten wieder. Folglich bleibt die Finsternis im Pirmasenser Norden stets versteckt hinter dem lichten Glanz der City. Mithin ist diese Finsternis unansehnlich. Sie ist zu medusenhaft, zu dreckig, als dass sie zur Werbung taugen könnte. Indessen ist der Mops natürlich sehr viel süßer anzusehen. Das ist ohne Zweifel klar. Doch woher kommt der Mops? Das ist ein kleines Abenteuer.
Ich will endlich Pirmasenser werden. Und zwar voll und ganz. Obwohl ich nicht am Fuße des Berges Horeb geboren bin, möchte ich dieses neue Jerusalem schauen. Wo Gott sich niederließ, um mit Hilfe der Kolonie ihr Friedensreich zu errichten. Am liebsten erkunde ich die heilige, auf sieben Hügeln gebaute Stadt zu Fuß.
Hunde-Tommy, der in Pirmasens aufwuchs und das Abitur ablegte, begleitet mich an diesem kalten Dezemberabend. Als wir uns aufmachen, um die Finsternis im Reich des Mülls im Norden der Stadt zu erkunden, scheint der Dreiviertelmond auf uns hernieder. Nie hätte ich auch nur im Entferntesten daran gedacht, dass uns ein kleiner Mops an dieser neugierigen Mission hindern könnte.
Springe zu einem Abschnitt:
Stadtwanderung zum Mops
Unsere Schritte zerlegen die weite Entfernung in kleine Teile. Füße, Knie und Hüfte sind unsere Werkzeuge. Somit sind unsere Klingen im Kampf gegen Zeit und Raum.Als Kämpfer gegen die Dimensionen sind wir Menschen geschaffen. Ganz gleich wie diese Schöpfung auch zu denken sei. Ob durch die Evolution oder von Gott. Das Große verstehen wir nicht. Deshalb brauchen wir die Analyse und zerschneiden alles in kleine Teile. So auch die Stadt.
Es sind uns genau diese Möglichkeiten gegeben. Aber auch exakt diese Grenzen gesetzt. Nur wenn wir das Große und Ganze in kleine Stücke schneiden, zerlegen und mundgerecht tranchieren, passt es in unseren Verstand hinein. So es denn mundgerecht zerkleinert ist und in strenger Reihenfolge nacheinander kommt. So klein wie ein Mops. Damit sind wir in der Lage, die Dinge zu verstehen und zu begreifen. Solange sie nur klein und überschaubar genug sind.
Jeder Spaziergang funktioniert Schritt für Schritt. Das Promenieren ist ein Kampf um die Macht. Ein Ringen um unsere Herrschaft über die Wege, Straßen und Plätze, die wir unserer Erinnerung und Sprache einverleiben. Wie einst die Könige ihr Reich durchschritten, wandern wir heute durch die Stadt. Wir wandern, damit die Stadt die unsere wird. Damit sie sich willig unserer Gegenwart, unseren Sinnen, unserem Denken und Wollen unterwerfen mag. Das funktioniert wie eh und je. Sofern wir unterwegs keinem Mops begegnen, wie sich jetzt erweist.
Die Halbnackte und der Mops
„Kommt mal her!“ Es ruft eine dunkle Frauenstimme. Noch sind wir nicht am Quirlplatz angekommen, noch ziehen wir durch eine schmale Gasse im Winzler Viertel, das einst Heimstatt stolzer Handwerker und Arbeiter gewesen ist. Wo sich heute Karl Marx zu Ehren das zerlumpte Proletariat einhaust. Ein zweiter Ruf ertönt: „Kommt mal her!“
Die das Kommando aus dem Fenster einer Erdgeschosswohnung über die Gasse zu uns herüber ruft, ist eine Frau mittleren Alters. Hunde-Tommy und ich gehen zu ihr hin, treten unter das offene Fenster und schauen fragend zu ihr auf. Die Dame ist fast völlig unbekleidet.
Ein viel zu kleiner Büstenhalter versucht vergeblich, die üppigen Brüste zu umfassen. So lehnt sie sich über den Fensterrahmen aufs Gesims: „Wollt ihr einen Mops?“ Derweil die Halbnackte uns mit ihrer Frage in Erstaunen versetzt, reicht ihr ein Junge von hinten den Hund. Die Halbnackte ergreift das Tier und drückt es liebevoll zwischen die schweren Brüste.
Erst ist es der falsche Mops
„Diesen hier?“ fragt Hunde-Tommy und streckt die Hand nach dem Tierchen aus. Doch weil sich die Halbnackte unvermittelt etwas zur Seite dreht, fassen Hunde-Tommys Finger nach der linken Brust. Jedoch geschieht dieser Griff, ohne dass er ihn zu tun beabsichtigt hätte. Aber die Dame lacht: „Wenn du diese Möpse willst, musst du morgen nochmal kommen. Heute bin ich schon ausgebucht.“
Dann reicht sie den Welpen heraus: „Nimm ihn mal, er ist süß, der kleine Mops!“ Der kleine Hund beginnt sofort damit, Hunde-Tommys Kinn zu lecken. Ganz so, als gebe es nichts schöneres auf dieser Welt als das. „500 Euro und er gehört dir“, sagt die üppige Dame nun. Und: „Als Zugabe darfst du morgen für nur 50 Euro an meinen Möpsen spielen.“ Sie fasst mit beiden Händen an ihren Busen und schiebt die Masse auf und ab.
Hunde-Tommy schaut erst den Hund, dann mich fragend an. Sein Gesicht sieht so aus, als hätte er im angesichts der drei Möpse völlig die Kontrolle über sein Wollen und Tun verloren. Aber nein. Seine Zuneigung gilt nur dem einen Mops. „Oh, ich will ihn haben!“ Um Hunde-Tommy ist es sofort geschehen. Denn er ist von einer Sekunde zur anderen dem kleinen Mops verfallen. Dagegen scheinen ihm die Brüste der Halbnackten nur wenig begeistern. Allein der Hund weckt seine Leidenschaft.
Die Spende für die Trinker geht für den Mops drauf
Ich krame in den Hosentaschen nach Geld. Da ich monatlich eine Summe von 500 Euro den Alkoholikern in der städtischen Grünanlage spende, werde ich in meiner Hose fündig. „Gut, in Ordnung, wir nehmen den Mops“, sage ich zu der Frau mit den dicken Brüsten. Die nimmt lächelnd die Geldscheine entgegen. Zweimal zählt sie nach. Dann reicht den Mops hinaus und schließt wortlos mit zufriedenem Gesichtsausdruck das Fenster.
Danach gehen wir weiter in Richtung des Quirlplatz‘ am Rheinberger-Gebäude. Jetzt mit dem kleinen Mops. Das Hündchen fühlt sich sichtlich wohl auf Hunde-Tommys Armen. Offensichtlich sogar sehr, dass der aus aus purer Freude Hunde-Tommys Jacke vollpisst. Doch Hunde-Tommy schreckt das nicht. Die Pisse perlt vom Parka ab und tropft hinunter auf die Stiefel. Auch das stört ihn nicht. Ich gebe zu bedenken: „Wollen wir nicht lieber umkehren? Der Mops ist doch noch viel zu klein. Und Möpse laufen sowieso nicht gerne. Was meinst du, Hunde-Tommy?“
Der Mops geht vor
Er ist einverstanden. Wir geben die Absicht auf, den Pirmasenser Stadtteil Fehrbach zu erkunden, wozu wir aufgebrochen sind. Denn dieser Vorort ist das Abfallhalde des neuen Jerusalems. Ein Reich des Todes. Schwere Lastwagen karren den Müll aus aller Welt dort hin, damit große Öfen den Unrat verbrennen.
Gerne hätten wir das Leid der Anwohner gehört. Die klagen sowohl über Krebs, kleinwüchsige Kinder als auch über Erbgutschäden. Sie behaupten steif und fest, der verbrannte Müll sei schuld an ihrem furchtbaren Geschick. Doch nun ist diese Wanderung auf unbestimmte Zeit verschoben. Statt dessen beginnt soeben die Zukunft mit dem Mops. In der Pirmasenser Kolonie müssen wir später noch einen Namen für unseren neuen Mitbewohner finden.
Bericht: Theophil Meisterberg
Foto: Claude Otisse