Die Liebe in Zeiten der Vogelschiss-Partei
„Was ist mit dir los, Fetthans?“ Kaum ist Theophil in Pirmasens zurück, stellt er mir diese Frage. Genauso neugierig wie mitfühlend gibt sich der Pfarrer heute. Es ist wegen meiner unglücklichen Liebe zu Ester. Obwohl er eben noch eine Aktion gegen die Vogelschiss-Partei leitete. Eigentlich sollte er mir darüber berichten. Aber das wollte er offensichtlich nicht so recht.
„Ach Fetthans. Noch ist die Mission noch nicht ganz zu Ende. Bevor der Scharfschütze und Delume das letzte Mitglied der deutsch-nationalen Sippe zur Strecke gebracht haben, sagen wir nichts über diesen Einsatz.“
Pfarrer Theophil Meisterberg
Weshalb sollten sie mich auch informieren? Weil ich der Pressesprecher der Pirmasenser Kolonie bin? Weil tausende Kolonisten in ganz Europa auf Nachrichten über den Kriegsverlauf warten? Ich sage es mit Nachdruck: „Theophil! Unsere Leute haben ein Recht auf Information. Sowie es meine Pflicht ist, sie mit Nachrichten zu versorgen.“
Theophil Meisterberg dafür bekannt, nie um eine Antwort verlegen zu sein. Also wendet er auch jetzt meine eigenen Worte gegen mich. „Richtig, Fetthans. Gerade weil es Deine Aufgabe ist, Artikel über den Kampf der Pirmasenser Kolonie zu veröffentlichen, werde ich Dir jetzt noch nichts sagen. Doch du solltest das nicht persönlich nehmen. Wir wollen die Vogelschiss-Partei nicht warnen. Denn sie sollen in die Falle tappen. Komm, Fetthans! Schnapp‘ dir eine Kiste Gottbier. Dann lass‘ uns in den Strecktalpark gehen und saufen!“
Springe zu einem Abschnitt:
Wenn das Hemd des Theologen am Oberkörper klebt
Ja. Saufen ist eine gute Idee. Wennschon an einem Montagmittag die Sonne scheint, sollten wir die Gelegenheit tatsächlich nutzen. Unbedingt. Dann greife ich also das Gottbier und hänge mir noch schnell die Kamera um den Hals. Auch wenn Theophil die andere Seite des Bierkastens hält, ist es doch ein weiter Fußmarsch vom Imserbühl bis runter in den Strecktalpark. Die heiße Juni-Sonne treibt mir schon im Sitzen den Schweiß auf die Stirn. Wiewohl auch Theophils schwarzes Theologenhemd schon bald durchnässt ist und an seinem Oberkörper klebt. Der Theologe riecht nicht gut.
Des penetranten Körpergeruchs ungeachtet gehen wir über den schmalen, aber asphaltierten Weg entlang der Grenze der Kolonie bis zur Adam-Müller-Straße. Dort überqueren wir die verkehrsreiche Arnulfstraße. Auf der anderen Seite betreten wir den kleinen Fußweg hinterm Zollamt.
„Etwas zu verzollen?“ Theophil scherzt. Bevor er hinter den Fenstern des Amtsgebäudes die verschwommenen Beamten erblickt. „Wenn die deutschen Witzfiguren wüssten, wen und was wir so alles heimlich über die Grenze bringen! Ach herrje!“ Dann zeigt Pfarrer Meisterberg mit ausgestrecktem Arm und langem Finger auf die amtlichen Silhouetten. Dabei lacht er so schreiend wie des Publikum einer Comedy-Sendung im Fernsehen abends um 10 Uhr. Weil er so herb lacht, wir unsere Gottbierkiste einen Augenblick lang vor dem kleinen Tor zum Strecktalpark abstellen. Das Gewicht schmerzt uns beide in den Armen.
Kindheit in Zeiten der Vogelschiss-Partei
Auf jeden Fall machen wir lieber eine Pause. Ehe wir uns an einem Montag überanstrengen, verspotten wir noch ein paar heitere Minuten die Gestalten hinterm Schallschutzglas des Zollamts. Alldieweil wir unseren Schweiß abwischen und dabei die Zollbeamten begrinsen, kommt ein Kind des Weges.
Das Mädchen sieht den Geistlichen und hebt den Rock
Das blonde Mädchen erscheint mir für sein Alter durchaus groß gewachsen. Vielleicht besucht es die vierte Klasse. Jedenfalls trägt es einen übergroßen Grundschul-Ranzen auf dem Buckel. Bunt, kastig und schwer ist der Tornister. An der Seite baumelt ein reflektierendes Katzengesicht. Obgleich die Schülerin leichten Fußes an der Gottbierkiste vorbeigehen könnte, hält sie bei uns an. „Möchten Sie, bitte? Hochwürden? Nur 20 Euro?“, fragt das Mädchen artig und hebt einladend den Rock.
„Nein danke. Ich bin nicht katholisch“, antwortet Theophil. Daraufhin geht das Mädchen weiter und verschwindet um die Ecke. Bestimmt hat sie noch Klavierunterricht und die Schule fällt heute aus. Das Kind spricht ein sauberes Hochdeutsch. Seine Kleidung zeigt die Abzeichen teurer Modelabels. Vermutlich stammt das Kind aus einer der Familien das nahe gelegenen Neubaugebiets. Vielleicht wählen ihre Eltern die Vogelschiss-Partei. Nachdem das Kind außer Sichtweite ist, nehmen Theophil und ich die Bierkiste wieder auf. Als wir mühsam über die schmale Treppe in den Strecktalpark hinunter steigen, meint der Pfarrer: „Die verwechselt mich wohl mit ihrem Monsignore. Ich hätte doch besser das Hemd wechseln sollen. Dann hätte mich das Kind nicht als Geistlichen erkannt.“
Ester Berlin auf der Gemüsematte
Sobald wir endlich unten ankommen, wenden wir unsere Schritte vor den Pfeilern der mächtigen Streckbrücke nach rechts. Dort, neben der Wiese steht eineversteckte Bank im Schatten eines Baumes. Von dort aus öffnet sich der Blick auf den heiligen Berg von Pirmasens: den Horeb. „Wunderbar. Hier lassen wir uns nieder!“
„Zisch!“ Die ersten Gottbier-Flaschen sind schnell geöffnet und geleert. Denn der Durst ist inzwischen groß. Dabei bemerke ich sie. Vor uns auf der Wiese liegt Ester Berlin in der Sonne. Bestimmt ist sie müde von der Nacht und entspannt auf ihrer Gemüsematte. Aber Ester bemerkt uns nicht. „Sie ist wahrlich eine Frau Gottes“, lobt Theophil angesichts der weiblichen Pracht und eingedenk ihrer Entschlossenheit im Kampf gegen die Mitglieder und Amtsträger der Vogelschiss-Partei. Dann greift der Pfarrer nach meiner Kamera und drückt den Auslöser. Heraus kommt das oben gezeigte Bild.
Bericht: Fetthans
Digitales Bild: Theophil Meisterberg