Theophil: „Du dekadentes, deutsches Arschloch!“

Claude Otisse fotografiert Fliegenpilze und will kein deutsches Arschloch sein.
In der Nähe von Theophil Meisterbergs Versteck wachsen im Herbst die schönsten Fliegenpilze.

Du dekadentes, deutsches Arschloch! Damit meinte er mich. Ich sei genau wie alle anderen hier in diesem Drecksland. So schimpfte und schrie Theophil in seiner Wut. Wie es zu diesem Ausspruch kam? Es fing ganz harmlos an. Wir waren auf der Suche nach dem neuen Versteck für seine Sachen. Zuerst hatten wir nur einen kleinen Disput. Aber dann gerieten wir einen heftigen Streit.

In diesem Wortgefecht offenbarte der Hausierer neben seiner Wut auch noch etwas ganz anderes. Etwas äußerst Beunruhigendes nämlich. Jedenfalls sollte es all jene nervös machen, die sich bis jetzt gut gewärmt in bürgerlicher Sicherheit wähnen. Es scheint sogar, als bekämen jene Recht, die an Revolution und Aufstand glauben.

Lauert der kommende Umsturz im Pfälzer Wald?

Pfarrer Theophil Meisterberg sieht einen Umsturz von bisher noch nie dagewesener Art am Horizont. Er meint, dieser wird sogar die gewalttätigsten Revolutionäre unserer Zeit in Angst erstarren lassen. Soweit ich das Gesagte erinnere, will ich es nun mit meinen Worten wiedergeben.

„Weißt du denn nicht, Otisse, dass es schon geschieht?“ Sie sind schon hier. Sie sind schon längst in deinem Land. Heimlich, durch die Wälder haben sie sich herein geschlichen. Aber du siehst sie nicht. Sie kommen in der Nacht aus ihren Verstecken. Sie spionieren alles aus. Die neuen Häuser im Wohngebiet. Die alten Wohnungen in der Stadt. Die Fabriken, die Büros. Alles“

Pfarrer Theophil Meisterberg über den beginnenden Umsturz.

Sicher. Eine unheilschwangere Veränderung liegt in der Luft. Ihre Vorboten sind überall zu spüren. Leugnen will auch ich das nicht. Obwohl die Verunsicherung wohl an kaum einem Menschen in Europa vorbei geht, sind die Zeichen noch unklar. Niemand weiß sie richtig zu deuten.

Finstere Gestalten sind gut organisiert

Zweifellos gibt es diese finstere Gestalten. In der Tat ziehen die nachts plündernd durch die Häuser. Freilich besitzen diese Einbrecher und Räuber einen Plan. Und sie üben ihr verbrecherisches Handwerk in hoher Perfektion aus. Auch richtig ist, die Einbrecher sind ähnliche einem legalen Unternehmen organisiert. Dennoch sehe ich nicht, wie diese Banden einen neuen Weltenbrand entfachen könnten oder wollten. Also sage ich Theophil, wie ich über seine Behauptungen denke.

„Ach Theophil! Du redest von deinen Lieferanten aus Osteuropa. Die verticken doch nur ihr Diebesgut. Hier knacken sie einen Sattelschlepper. Dort reißen sie einen Geldautomaten aus der Wand. Die sind einfache Kriminelle. Einen Aufstand wollen die nicht. Schließlich leben diese Leute vom System wie alle anderen auch. Nur eben in verbotener Art und Weise.“

Während wir einen feuchten Waldweg auf der Sohle eines Tals nahe des Örtchens Eppenbrunn entlang schlenderten, dachte Theophil angestrengt nach. Ob er bereits wusste, dass er mich gleich ein dekadentes deutsches Arschloch nennen wird? Ich weiß es nicht. Jedenfalls fuhr er mit seinen Erklärungen fort.

Diebesbanden spionieren Orte und Häuser aus

„Die Osteuropäer sind ein Teil des großen Plans. Die Wegnehmerinnen bilden die Vorhut. Sie kundschaften die Straßen und Orte aus. Sie kennen die Plätze, wo sich alle sammeln können, ohne entdeckt zu werden. Das Land darum ist sauber abgezirkelt. Jede Gruppe arbeitet in einer ihr bestimmten Gegend. Nicht nur, was sie rauben, ist ihr Lohn. Sondern auch die Informationen über die Bestohlenen.“

Es mag ja sein, dass die reisenden Verbrecher ihre Ziele nach einer Methode aufklären, wie sie auch das Militär benutzt. Trotzdem erkenne ich keine getarnte Armee in ihnen. Selbst wenn die Beutezüge der Osteuropäer eine Invasion der Diebe sein sollte, trifft sie doch auf Widerstand. Auch diesen Einwand bringe ich zur Sprache.

„Aber Theophil! Das sind doch bloße Hirngespinste. Glaubst du wirklich, eine Räuberbande könnte es mit dem ganzen Bürgertum Europas aufnehmen? Die lassen sich nicht so einfach ausplündern. Du doch selbst erlebt, dass sie sogar fliegende Maschinen haben, um euch aufzuspüren. Die fliegenden Wächter ballern deinen Banden ganz einfach den Schädel weg.“

Theophils Invasion der Ausgebeuteten

Theophil schüttelte vehement den Kopf. Diese Geste, und die nun geballte linke Faust zeigten seine innere Anspannung. Offensichtlich fühlte er sich unverstanden. Ja, womöglich glaubte er sogar, ich greife ihn persönlich an. Wahrscheinlich bin ich so seinem Ausdruck deutsches Arschloch wieder ein paar Schritte näher gekommen. Theophil hob zu seiner Gegenrede an.

„Und du meinst, dass die Menschen in anderen Erdteilen nicht an Rache denken? An Rache dafür, dass ihr die Kinder, die Frauen, und sogar die Alten zu Zwangsarbeitern macht? Als Wiedergutmachung dafür, dass ihr ihnen alles nehmt? Die Rohstoffe, die Arbeitskraft, ihre Kultur und zuletzt ihre Würde? Doch, Otisse, genau das tun sie. Sie sind gekommen, um sich das zurückzuholen, was ihr ihnen raubt. Sie kommen zu jedem Haus. Eines nach dem anderen.“

Gottes Engel stehlen Flachbildfernseher

Nun drifteten des Pfarrers Thesen doch sehr in religiöse Endzeitfantasien ab. Höchst fragwürdig, wie ich finde. Denn würden Gottes Rache-Engel beim letzten Gericht herum gehen und Flachbildfernseher stehlen? Daran glaube ich eher nicht, ließ ich den Pfarrer nun wissen.

„Das Jüngste Gericht der Deutschen lauert also in den Wäldern. Meinst du das? Und woher willst du das wissen? Theophil? Ich glaube, du bist zu oft alleine. Dann fantasierst dir was zusammen. Vielleicht hast du das im Knast gelernt. Mit wilden Fantasien die Zeit totschlagen.“

Nun hatten wir uns beide bereits komplett in den Streit verstrickt. Der Disput fiel ins Persönliche. Die Wahl der Worte verirrte sich im Gestrüpp von Angst und Aggression. Theophil beschimpfte mich. Doch ich alleine genügte ihm nicht als Ziel.

„Ja, Otisse. Alles klar! Du warst noch nie im Knast. Du nicht! Warum auch? Du brichst niemals ein Gesetz. Du bist nur ein Clown der Worte. Du schreibst von Aggression und inneren Dramen, deinen Mordfantasien. Lächerlich. Die hat doch jeder. Du klagst die Gesellschaft wegen ihrer Ungerechtigkeit an. Du trägst die Moral vor dir her, als wäre sie dein ganz persönlicher Pokal. Aber das ist in Wahrheit nichts als billige Unterhaltung für die, um deren Gunst du buhlst. Ja, du bist ein Pausenclown. Du bist nichts weiter, als ein dekadentes, deutsches Arschloch. So wie alle anderen in diesem Drecksland auch!“

Pfarrer Theophil Meisterberg kritisiert Claude Otisse.

Trotz all es Nachdenkens geriet ich nach diesen Worten in die Defensive. Da ich mich von Theophil ungerecht behandelt fühlte, versuchte ich eine Rechtfertigung.

Ein deutsches Arschloch rechtfertigt sich

„Jetzt reicht es aber, Theophil. Genug! Immerhin habe ich dich in mein Haus gelassen. Und eine neue Höhle habe ich auch für dich gefunden. Darin kannst du deine Sachen verstecken. Außerdem bist auch du ein Deutscher. Und du erhebst dich über alle anderen, die nicht in Höhlen leben. Deine selbst gewählte Armut macht dich arrogant und überheblich. Daher hast kein Recht, dich mit jenen gemein zu machen, die wirklich unter der Gier des Kapitalismus leiden. Wenn die sich wirklich rächen wollten, dann werden sie auch dich ergreifen!“

So ließ ich ihn im Streit zurück, den schimpfenden Theophil. Alleine seiner neuen Höhle. Immerhin habe ich ihm meinen Schlafsack mitgegeben. Und meinen Campingkocher mit einer Tüte mit Lebensmittel noch dazu. Ich war müde von dem Streit. Bin ich wirklich ein deutsches Arschloch?

Bericht: Claude Otisse
Foto: Claude Otisse

Claude Otisse

Der Journalist und Fotograf Claude Otisse nennt sich Superior und ist Mitglied der Geistlichen Hütte der Kolonie der Auserwählten in Pirmasens.

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