Verbannung: Theophil auf der Sonnenmauer
Dieser Flüchtling kehrt zurück in die Kolonie. Zurück nach Pirmasens. Zurück ins Amt. Dieser Flüchtling bin ich, Theophil Meisterberg. Anders ausgedrückt: Unsere große Vorsitzende hat mich begnadigt. Aber nein, an Flucht dachte ich keine einzige Sekunde dieser vier langen Wochen der Verbannung. Obwohl die Tage ohne Gottbier, ohne meine Freunde und vor allem ohne meine Aufgabe in qualvoller Weise langsam und zäh verrannen. Trotzdem bin ich selbst unter der fürchterlichsten Langeweile nicht geflohen.
Springe zu einem Abschnitt:
Einsamkeit erzwingt das Nachdenken
Dennoch war die Zeit auf der Sonnenmauer keineswegs nur bloßes Warten. Es war auch Strafe. Nämlich der Zwang zur Selbstbesinnung. Denn dort oben war mir der Alltag mit allen mir vertrauten Dingen und Menschen entrissen. Tablet-PC, Handy, Bücher und die ganze Fotografie musste ich entsagen. Gespräche, Feiern und Gottbier trinken – all das blieb in der Geistlichen Hütte, als mich die Wächterinnen packten und zur Sonnenmauer brachten. Dort saß ich dann. Einsam ganz oben, immer zu mit Blick zum Horizont.
Aber selbst der Blick zum Horizont gelang mich nicht immer. Oft wollte ich meine Augen zum Himmel wenden, doch es ergriff mich eine tiefe Furcht. Geradezu erstarrt vor Angst saß ich dann von innen eingeklammert auf dem kahlen Boden vor den blanken Wänden. Da diese nichts anderes erlaubten als die abendliche Sonnenschau, wartete ich bis die Angst vorüber ging.
Die Qual der ersten Tage
Des gewohnten Alltags und seiner Umgebung verlustig zu gehen, bedeutet in der Verbannung, einzig in der Sehnsucht harren. Wie sehr wünschte ich mir, die Zeit des Wartens möge bald vorüber gehen. Doch dieses Wünschen und Wollen ohne Können wurde mir schnell zu Qual. Genauso saß ich da. Als ein wollender abe nicht könnender Mensch, dessen Warten sich ins Unendliche dehnt. Zwar besitzt die Sonnenmauer weder Gitter noch verschlossene Türen. Dieser Ort der Verbannung ist kein Gefängnis. Aber die Flucht jedoch hätte meinen Ausschluss aus der Kolonie bedeutet.Womit die Verbannung für immer gedauert hätte.
Theophil Meisterberg flieht nicht mehr
Mit dem Gedanken an Flucht drohte das Ziel meines Wünschens, Wollens und Sehnens in die weiteste auch nur denkbare Ferne zu rücken. So unerreichbar weit wie der Abendstern an meiner Himmelslinie wäre dann die Kolonie. Und das gerade jetzt, nach mehr als einem Jahr in Pirmasens? Nein. Das darf und soll nicht sein. Also bleibe ich in der Verbannung. Ich wollte die Spannung zwischen meinen Gefühlen und der Notwendigkeit des Wartens aushalten. Das war mein Entschluss nach den ersten qualvollen Tagen auf der Sonnenmauer. Umso mehr Tage so vergingen, desto mehr einsame Sonnenuntergänge ich sah, umso mehr wuchs die Gewissheit in mir, endlich angekommen zu sein.
Schließlich gelangte ich zur Einsicht, dass mich das unterschwellige Gefühl in die Irre führte, wenn es mir einflüsterte, von den Menschen um mich herum nicht gewollt und geliebt zu werden. Ein Gefühl, das mich um mein Leben betrügen würde, so ich ihn denn folgte. Also widersetzte sich mein Verstand dem Trieb zur Wanderung, der mich zur erneuten Flucht vor mir selbst trieb. Denn es gab so viele Fluchten in einem Leben. Viel zu oft hatte ich diesem Gefühl nachgegeben. Doch nun weigerte ich mich, ein ewiger Flüchtling zu bleiben.
Das Ende der Verbannung
Obgleich mir die schweigsamen Wächterinnen nichts weiter als Brot, Äpfel und Wasser zur täglichen Mahlzeit reichten, vergingen die Tage plötzlich schneller. Bald schon weckten sie mich und sagten: „Theophil, deine Freunde sind gekommen um dich abzuholen. Die Verbannung ist zu Ende!“
Dann sah ich sie von oben. Dort unten stand Fetthans mit zwei Fremden, die ich noch nicht kannte. Bald lernte ich sie kennen: Es waren der junge Delume aus Afrika und die schöne Ester Berlin. Ja, es war wunderbar, nach Hause zu kommen. Die Pirmasenser Kolonie – Wo ich gut und gerne lebe.
Digitales Bild: Fetthans
Bericht aus Pirmasens: Pfarrer Theophil Meisterberg