Der Schäfer und das zornige Schaf
Ich schaue gerne dem Schäfer und den Schafen zu. Dabei sitze ich auf einer Bank am Wald. Ein Tag im Juli. Es ist warm. Sonnenstrahlen auf der Haut. Der Nebel hat sich verzogen. Ganz früh bin ich hergekommen. Damit die Ruhe meinen Gedanken lauscht. Der Schäfer hält sich diese Herde, weil er sich etwas Geld verdient, so nebenbei. Das Gold des Schäfers sind Wolle, Fleisch und Milch. Aber es gibt noch einen anderen Grund. Das lässt er mich wissen. Er liebt diese Tiere. Weil sie so ruhig und friedlich sind. Nur ganz selten kommt es vor, dass ihm kämpferisch ein Bock entgegen tritt und vor ihm die Hörner senkt.
Der Schäfer mit dem alten Opel
Sobald der Schäfer mit dem Auto naht, seinem alten, blauen Opel? Ja. Dann heben sie die Köpfe. Gleich zieht das erste Schaf ganz flink voran. Jetzt trabt die ganze Herde los. Die anderen folgen dem Ersten willig bis zum Unterstand. Die Herde versammelt sich dort im Verschlag. Der Schäfer zählt all seine Lieben durch. Zweifelsfrei ist dies der erste Akt des guten Hirten. Der brave Mann nummeriert die Schafe streng im Geiste.
Denn eins ist dem Schäfer zwar ein Leid. Dennoch scheint es sehr gewiss. Es gibt Raubtiere im Eichenwald. Zudem sind dort böse Menschen. Die kommen heimlich in der Nacht zum Schlachten. Doch an diesem schönen Morgen liegt die Weide vom Bösen unberührt. Alle Schafe sind noch da. Nur eins steht abseits. Gleichwohl es unentwegt herüber starrt, kommt es keinen Schritt heran.
„Was ist los?“, fragt der Schäfer. Sofort geht er zum ihm hin. Doch das Schaf macht einen Satz über den kleinen Bach, der die Weide in zwei Hälften trennt. Der Schäfer mag da nicht ‚rüber. Der Graben ist zu tief. Das Ufer ist zu rutschig.
Er versichert, ja, das wilde Schaf kommt wieder. Ganz von selbst, ohne Zutun. Der Hirte muss nur warten. Denn bei der Herde fühlt es sich wohl. Während die Ferne dem armen Tier ihre Angst einflößt. Doch das hier lässt den Schäfer länger warten.
Das Schaf versteckt sich hinter einem Weidenbusch. Dahinter schaut erschreckt hervor. Indessen nähert sich der Schäfer von der anderen Seite. Er nutzt geschickt die Deckung hinter einer Pappel. Nun versucht er einen Überraschungsgriff. Als der misslingt, entwindet sich das Tier aus des Schäfers Griff. Der Mann stolpert, fällt auf das nasse Gras und kriecht fluchend um die Weide.
Ich stehe auf, und sehe nach. Hat er sich verletzt, der gute Mann? Nein, es geht ihm gut, nur die blaue Hose ist ganz fleckig, voller Erde an den Knien und zwei Schafknödel kleben auch noch dran. Auch die Weste und der grobe Pullunder sind derangiert, doch das stört den Schäfer nicht.
Jetzt nimmt das Schaf ganz keck den Weidezaun ins Visier. Von diesem hat ein gefallener Ast der alten Eiche die dünnen Drähte weggedrückt. Auf diese Lücke rennt das Tier jetzt zu. Dahinter stehe ich. Das Schaf hat freie Bahn und macht vor mir nicht halt. Schließlich kommt, was kommen muss. Das Schaf rammt mich fest ins rechte Bein.
Ich strauchle und wanke wie der Schäfer es vor mir tat. Aber mir gelingt es noch, auf zwei Beinen zu bleiben. Auf dem Weg neben mir macht es kehrt. Sofort setzt das Schaf zum neuen Anlauf an. Aber dieses Mal weiche ich dem Angriff aus. Denn so ein Schaf, man glaubt es kaum, ist doch recht schwer.
Der Schäfer kommt von hinten. Das Schaf bemerkt ihn nicht, weil es sich mit mir beschäftigt. Dann greift er kräftig zu, nimmt es gekonnt um den Bauch und hebt es hoch. Das Schaf erstarrt und ist auf einmal völlig ruhig. Vom Unterstand hören wir die Herde blöken.
Was hat das Schaf zur Raserei getrieben? Worin gründete sein Zorn? Der Schäfer dreht das Tier jetzt auf den Rücken. Dort vermutet er die Quelle des tierischen Schmerzes. Und tatsächlich! Hinterm Huf des rechten Vorderlaufs steckt ein kleiner Dorn. Der Hirte zieht das Holz heraus. Daraufhin entlässt er das Schaf. Jetzt steht es wieder friedlich bei der Herde. Ganz so als wäre nichts gewesen. Ich streiche mir noch die Schmerzen aus dem Bein. Ein wenig später hinke ich nach Hause.