Augen im Glas! Die schöne Paula ist tot – Letzter Teil

Die Augen im Glas, die Brandstiftung ist vollbracht. Claude Otisse und Hunde-Tommy sind zufrieden.
Claude Otisse und Dr.Thomas Busenberger blicken zufrieden auf ihr Tagewerk. Der toten Paulas Haus steht in Flammen.

Augen im Glas. Kaum habe ich den goldenen Klingelknopf am Einfamilienhaus der schönen toten Paula gedrückt, macht Hunde-Tommy auf. Er muss hinter dem Eingang gewartet haben. Der hagere Mann im schlecht sitzenden blauen Anzug steht im Schatten der schweren Holztür, die zu dreiviertel geöffnet den Blick ins Innere der Wohnung frei gibt. Aber ich sehe nur kurz hinein, denn der Augenarzt will sofort wissen: „Hast du das kleine Einmachglas dabei?“

Ich erhebe die Plastiktüte wie eine Trophäe vor sein zerknittertes Gesicht. Das darin verpackte Einmachglas pendelt verführerisch vor ihm hin und her. So wie vorhin am Wedebrunnen Jagodas draller Birnenhintern wippte. Doch er hält sich nicht zurück. Er packt sofort zu. Mein Freund Dr.Thomas Busenberger streckt den Arm aus und reißt mir die Tüte aus der Hand. So wie ein gieriges Kind die ganze Tafel Schokolade auf einmal frisst.

Er will die Augen im Glas sehen

„Ich will die Augen im Glas sehen“, sagt Hunde-Tommy. Schnell dreht er sich um, bevor er mit der Tüte durch den Flur ins Innere des Hauses zurück eilt, wo er flugs um die Ecke ins Wohnzimmer verschwindet. Er lässt mich einfach draußen stehen. Aber vor der Tür mag ich nicht länger verweilen. Die Mittagssonne prasselt gewaltsam auf mich nieder. Der Durst rast gigantisch. Eine Raserei, die ich in stickigem Schweiß nun gar nicht mehr ertragen möchte.

Also überschreite ich die Schwelle und betrete der toten Paulas Haus. Ein leichter Stoß mit dem Handballen genügt. Die schwere Holztür fällt wie von magischer Hand gebremst leise und sanft ins Schloss. Selbst dem heiligen Zorn gelänge es nicht, sie krachend in den Rahmen zu schlagen. Drei mal höre ich noch die Schließen klicken, danach umfängt mich der friedvolle Klang der Ruhe. Die Welt von draußen hat hier drinnen Hausverbot. Ein Ficus Benjamini grüßt neben der Schuh-Kommode, rechts davon versteckt sich die Tür zur Küche. Ob es dort Bier für mich zu holen gibt?

Die blaue Einbauküche ist so sauber, dass man sich drin spiegeln kann. Ich suche den Kühlschrank. Haben die hier keinen? Doch sie haben einen. Und was für einen! Dieser hier ist kein schlichtes Gerät zur Bevorratung verderblicher Lebensmittel. Er ist ein Bekenntnis, ein wahres Manifest. Zwei Meter hoch, 1,40 Meter breit und 60 Zentimeter tief, mit mannshohen Türen aus gebürstetem Edelstahl. Drinnen die Fülle erlesener Nahrung, streng geordnet über die einzeln beleuchteten Etagen verteilt. Aber ein Bier ist nicht darunter. Enttäuscht schließe ich die mächtigen Türen wieder. Weiter suchend öffne ich jedes Schubfach, jeden Hängeschrank und jede Lade. Nichts. Aber keine einzige Flasche finde ich in dieser vermaledeiten Küche. „Wo bleibst du, Otisse? Komm‘ jetzt endlich!“, schreit Hunde-Tommy aus dem Wohnzimmer.

„Ich bin in der Küche und suche das Bier!“, gebe ich zurück. Während ich noch die Fächer unter dem Kochmodul in der Mitte des Raumes durchsuche, erreicht mich Hunde-Tommys erneuter Ruf: „Das Bier ist hier!“ Dann fordert er: „Komm‘ endlich ‚rüber!“ Ich staune. Diese Leute lagern offenbar ihr Bier im Wohnzimmer. Sicher, ein kleiner Zwischenvorrat, einen Pufferspeicher von drei, vier Flaschen ergibt auch im Wohnzimmer gewiss einen guten Sinn. Mehr aber nicht. Schließlich muss das Bier getrunken werden, bevor es warm und ungenießbar wird.

Die Suche in der Küche erübrigt sich also. Vielleicht hätte ich sie erst gar nicht anfangen sollen. Denn so aufgeräumt, unbenutzt und steril wie diese Küche aussieht, erinnert sie eher an ein Krankenhaus, denn an eine häusliche Stätte guter Ernährung und feinen Genusses. Welches Kind, welche Mama, welcher Papa wollte in solch einem Operations-Saal ein Wurstbrot gegen den nächtlichen Heißhunger verschlingen? Oder gar ein schönes Schlafbier trinken? Nein. Für die Tätigkeit, die man gemeinhin wohnen nennt, ist diese Küche wahrlich nicht gemacht. Sauberkeit und Hygiene schneiden das Leben mit dem Messer ab, amputieren jede Freude mit der Knochensäge. Augen im Glas – die können hier lagern.

Wohnzimmer mit Leiche

Weit und geräumig dehnt sich das Wohnzimmer in alle Dimensionen des geliehenen Wohlstands aus. So bemessen ist der Saal, dass fünf oder sogar sechs Paare darin bequem Samba tanzen können, wenn jemand zuvor die Sitzgruppe mit dem Esstisch und die mit beigefarbenem Leinen bezogene Couch-Ecke beiseite schiebt. Auf der Terrasse und im Garten finden lange Tisch- und Stuhlreihen ihren Platz, an denen die Gäste heiter speisen, ihre nette Konversation pflegen und sich ausruhen. Von neugierigen Blicken der Nachbarn unbehelligt, schlachten die Gastgeber hier das Schwein. Ein jeder darf in diesem Garten ungestört sein eigener Metzger sein.

Über die glasierten Terrakotta-Kacheln gleiten die flotten Sohlen der Tänzer mit schwebender Leichtigkeit. Frieren muss in der Kühle des späten Abends gewiss niemand. Der offene Kamin schafft mollige Wärme, durch die Schiebetüre strömt frische Luft über die Terrasse vom Garten herbei. Doch an diesem heißen Nachmittag tanzt hier niemand. In bedrückter Stille sitzt Hunde-Tommy auf der Couch. Er wartet. So wie er meistens auf irgend etwas wartet. Er will endlich die Augen im Glas. „Wo ist das Bier?“

Hunde-Tommy deutet auf die Kommode unter dem großen Fernsehgerät an der Seitenwand. Auf dem Möbel erkenne ich eine Soundbar und weitere elektronische Geräte. Seinem Fingerzeig folgend, bewege ich mich am Esstisch vorbei. Dabei sehe ich, was ich die ganze Zeit zu sehen erwarte: Zwischen Essgruppe und dem großen Terrassenfenster liegt die tote Paula über den Fliesen. Die Schönheit liegt platt auf dem Bauch. Abgesehen vom roten Stringtanga ist sie nackt. Auf dem leblosen Körper schimmern changierende Flecken und Muster in Dunkelblau und Hellviolett. Um den Kopf herum breitet sich eine Lache eingetrockneten Blutes in Form des Bodensees aus. Deren finstere Oberfläche kontrastiert zwar nur schwach gegen die Fliesen, doch an den Rändern verdichten sich schwarze Krusten.

Das ist ein Hammer

Der Weg zum ersehnten Bier zwingt mich dicht an der Leiche vorbei. Der zerfallenden Schönheit soweit wie möglich ausweichend, schlage ich einen flachen Bogen zur Terrassentür. Dennoch vermag ich meinen Blick nicht von ihrem Leichnam zu wenden. So kommt es, dass ich den vor mir auf dem Boden liegenden Gegenstand nicht bemerke, darüber stolpere und beinahe stürze. Aber ich falle nicht. Mit einiger Anstrengung bringe meinen abwärts taumelnden Körper in die Vertikale zurück. „Das ist ein Hammer“, rufe ich unwillkürlich. Vom Fußtritt kräftig angeschoben, kommt das Werkzeug erneut in der Mitte meines Weges zu liegen. Doch diesmal bleibe ich standhaft. Ein mutiger, ausladender Schritt hilft mir über den Hammer hinweg, zugleich näher an die Kommode unterm Fernseher.

Was Hunde-Tommy eine Kommode nennt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als der zweite Kühlschrank dieses Hauses. Das Möbel muss eine Spezialanfertigung sein. Denn so einen Kühlschrank habe ich anderweitig noch nie gesehen. Vorne sind zwei mit hellem Kunststoff verkleidete Flügeltüren angebracht, die sich nach rechts und links öffnen lassen. Im Inneren finde ich ein wohl gefülltes Flaschenregal. Ich ergreife vier Flaschen Bier, jeweils zwei mit der linken und der rechten Hand. Die Hälse klemme ich zwischen die Finger. Welch eine Freude: Es ist Parkbräu Pils.

Der Rückweg zu Hunde-Tommy zeigt mir das Loch im Hinterkopf der Toten, aus dem sich eine kleine Beule aus Hirnmasse wölbt. Wie ein Blitz vom Himmel fährt, so plötzlich überkommt mich angesichts dessen die Idee, eine Bierflasche über der Leiche zu entleeren. Doch ich widerstehe dem Drang, behalte das ersehnte Bier. Lieber will ich meine trockene Kehle tränken. Die Tote ein weiteres Mal umschreitend, gelange ich nach wenigen weiten Schritten zur Couch und sitze endlich neben Hunde-Tommy. Dort reiche dem Freund zwei der vier Flaschen. „Du hast in die Hose gepisst und du stinkst“, sagt er, während er mit dem Feuerzeug sein Bier entkorkt.

Von der Couch schauen wir beide zur schönen Paula hinüber. Die Tote reckt uns ihre gespreizten Beine entgegen. Ein magischer Reflex trägt die Sonne aus dem Garten durch das Glas der Terrassentür herein. Der schmale Lichtfleck fällt auf den roten Stringtanga, taucht den mit Exkrementen verschmierten Unterkörper in ein goldenes Licht. „Wie ist sie gestorben?“ Hunde-Tommy stemmt das kleine Einmachglas in seinen Schoß. Er antwortet: „Der Hammer hat sie erschlagen. Die spitze Seite hat den Hinterkopf und das Kleinhirn getroffen. Deswegen hat die Atmung versagt. Sie war auf der Stelle tot.“ Die Erklärung des Augenarztes leuchtet mir ein.

Allerdings hätte ich seiner naturwissenschaftlichen Belehrung nicht unbedingt bedurft. Die Karriere des Hammers beginnt als Faustkeil. Diesem Instrument ist sein Zweck klar und verständlich eingeschrieben. Der Hammer ist zum zum Schlagen und Zersplittern gemacht. Seinem Sinn entsprechend wirkte dieser Hammer gegen den Hinterkopf der schönen Paula.

Hunde-Tommy läutet am Totenhaus

„Pünktlich war ich. Pünktlich. Erst habe ich geklingelt. Sie machte nicht auf. Dann habe ich geklopft und geklingelt. Sie machte nicht auf. Vielleicht hat sie sich nochmal hingelegt, nach dem die Kinder gefrühstückt hatten und auf dem Schulweg waren. Das hat sie manchmal so gemacht, wenn sie noch müde war. Ich wollte sie nicht so brachial aus dem Schlaf reißen. Also ließ ich das Klingeln sein. Ich beschloss, ein zweites für sie Frühstück zu richten. Danach wollte ich Paula sanft und zärtlich wecken. Vor ein paar Tagen hatte sie mir einen Hausschlüssel gegeben. Den zog ich aus der Tasche und schloss auf.

Die Küche fand ich verwaist und unbenutzt vor. Keine Krümel auf Tisch und Boden, keine Teller, keine Tassen, nichts dergleichen. Hat Paula die Kinder hungrig zur Schule gehen lassen? Ich fragte mich, ob Paula überhaupt zu Hause war. Also lief ich die Treppe hoch und schaute nach. Das Elternschlafzimmer war leer, aber die Betten zerwühlt.

Wenn eines der Kinder in der Nacht unruhig wurde, übernachtete Paula ab und an in einem der Kinderzimmer. Ich öffnete leise die Tür von Johann. Der Anblick warf mich zwei Schritte zurück. Unerträglich, das Blut im Kinderbett. Die kleine Luise im Nachbarzimmer teilte Johanns Schicksal. Im Wohnzimmer entdeckte ich Paula. Sie muss vor dem Hammer geflohen sein, bevor er sie traf. Eine wahrhaftige Menschenjagd hat sich in diesem Haus abgespielt.“

Dr.Thomas Busenberger, Liebhaber der schönen Paula

Souvenir seiner Geliebten: Die Augen im Glas

Selbst ich, der für gewöhnlich die eigene Seele mit Bier gegen die Eindrücke der verworfenen Welt zu stählen vermag, empfinde nach Hunde-Tommys Bericht eine tiefe Trauer. Vereint mit keimender Wut verdammt sie meinen beredten Mund zur stummen Klage. Es ist wie ein Verdikt. Schweigend trinken und starren wir auf die tote Paula. Die tobende Gewalt des Hammers füllt die Räume mit quälender Totenruhe. Sie ist es also, die mich seit dem ersten Schritt über die Schwelle fast erdrückt. Nur die Flasche gewährt meinen klammernden Händen ihren gläsernen Halt. Die erfrischende Flüssigkeit benetzt meine Lippen. Das Gebräu ist einmal mehr der heilende Verband meiner verwundeten Seele.

„Was machen wir jetzt?“ Nein, länger auf dieser Couch dürfen wir nicht sitzen bleiben. „Ich will jetzt die Augen im Glas“, sagt Hunde-Tommy. Der Augenarzt greift entschlossen in seine Ledertasche, holt zwei Paar Einmalhandschuhe und sein Präparierbesteck hervor. Er reicht mir die Handschuhe und fordert mich auf: „Komm! Wir gehen jetzt und drehen Paula auf den Rücken.“ Hunde-Tommy weist mich sorgfältig ein.

Meine Aufgabe ist die, an der Hüfte anzupacken, während er die Schulter der Toten ergreift. Beide auf den Knien, ziehen wir mit einem kräftigen Ruck. Jetzt liegt die Leiche auf dem Rücken. Ihr Mund steht weit offen, die Beine sind nunmehr verdreht. Auf Paulas weißem Bauch und den nackten Brüsten sehe ich kaum Totenflecken. Statt dieser zeichnen die Fugen der Terrakotta-Fliesen ihre klaren Linien.

Hunde-Tommy kniet nun über dem Haupt der Toten, klemmt den erstarrten Todesschrei zwischen seinen Knien fest. Dann fasst er unters Kinn, drückt und zieht, bis die toten Augen senkrecht zur Decke schauen. Er öffnet den Verschluss des Einmachglases, klappt den gläsernen Deckel auf, bevor er das Mäppchen mit dem Präparierbesteck über den Fliesen entfaltet. Wie geschickt dieser Arzt als Handwerker ist! Seine Pinzette ergreift das obere Augenlid, spannt die Haut vors scharfe Skalpell. Hunde-Tommy schneidet jetzt.

„Willst du mir zusehen?“ Nein. Das will ich nicht. Hunde-Tommy hält kurz inne, lächelt wissend. „Ich will ihre Augen im Glas als Erinnerung behalten. Deswegen präpariere ich Paulas Augäpfel heraus und konserviere sie mit Formalin im Einmachglas.“ Damit mir der schauerliche Anblick seiner Arbeit erspart bleibt, ersinnt der Augenarzt eine besondere Aufgabe für mich. „Bevor wir gehen, zünden wir das Haus an. Während ich Paulas Augen entferne, zapfst du das Benzin aus ihrem Auto in der Garage ab und verteilst es rund ums Haus. Wenn du damit fertig bist, machst du dasselbe in den Zimmern und im Flur.“

Augen im Glas: Hunde-Tommy zeigt seine Arbeit in der Strobelallee in Pirmasens.
Hunde-Tommy präsentiert stolz die Augen seiner Geliebten auf dem Spielplatz in der Strobelallee in Pirmasens.

Die Herausforderung

Dafür hat er mich also zum Freundesdienst gerufen. Erst drehe ich die Leiche, jetzt bereite ich den Brand des Einfamilienhaus vor, während der Freund in die blauen Augen der schönen Paula schneidet: Augen im Glas. Um der Freundesliebe Willen liegt der lange Weg durch Pirmasens hinter mir. Ich denke an die bestandenen Gefahren, die Hitze und die Entbehrung von Schlaf und Gottbier. Ist dieses hier die Reise wert?

Unleugbar bietet diese Aufgabe einen großen Vorteil: Sie entlässt mich gnädig aus Hunde-Tommys Seziersaal. Denn in einen solchen verwandelt der Arzt das Wohnzimmer in diesem Augenblick. Ich rieche den Duft des Formalins. Allerdings wird der Seziersaal nicht lange bestehen. Alsbald werden hier die Flammen den über den heißen Samba tanzen.

Jedoch mir fehlt allein die Kenntnis: Wie entzünde ich das Haus? Und zwar so, dass es vollständig niederbrennt? So viel Gutes habe ich schon gestiftet: Frieden, Freundschaft und allem voran die Liebe. Aber die Brandstiftung ist ein Erstlingswerk, eine wahrhaftige Premiere. Also mache ich mich daran, diese schwierige Reifeprüfung zu bestehen. Aber wie heißt es so schön? Nur an Herausforderungen kann der Mensch wachsen. Mit diesem Gedanken mache ich mich ans Werk.

Die weiß gelackte Eisentür gewährt mir den schnellen Zugang. Durch sie gelange ich aus der Wohnung in die doppelte Garage. Dort finde ich hinter Paulas rotem Auto ein breites Regal. Allerlei Werkzeuge und Gartenutensilien sind sorgfältig aufgereiht. So halte ich gleich den passenden Schraubendreher in der Hand. In den Spalt geschoben, hebelt er mühelos die Klappe hoch und bricht den Riegel. Der Deckel wird greifbar, ich schraube ihn herunter. So liegt der Tankstutzen frei vor mir. Mit der Astschere schneide ich ein Stück vom Gartenschlauch zurecht und führe es in den Stutzen ein.

Auf dem Betonboden lechzt der Kanister bereitwillig nach der brennbaren Flüssigkeit. Ein saugender Kuss umfängt die Höhle des schwarz-gelben Schlauches. Dann wird Mund feucht. Die rötliche Flüssigkeit strömt jetzt feierlich zum Ort ihrer Bestimmung. Zehn Liter fasst das schwarze Gefäß. Bald ist es gefüllt, ich sehe schon den Spiegel steigen. Der kräftige Knick unterbricht den Strom, ich ziehe den Schlauch aus dem Tank zurück. Geschafft. Eine erste gute Arbeit ist geleistet. So wie eine jede Arbeit ihr Gutes für die Seele hat, verschafft sie mir Erleichterung.

Scheiterhaufen der Habseligkeiten

Doch das hohe Ziel ist noch lange nicht erreicht. Zuallererst gilt es jetzt, das Benzin an jene Orte zu bringen, wo das Feuer seine Kraft am wirksamsten entfaltet. Brennen! Brennen! Brennen! Darauf konzentriere ich meine Gedanken. Ich will mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel erreichen. Also wohin mit dem Benzin? Spritzer über den Mauern brennen wohl. Doch wird die Flüssigkeit der Schwerkraft folgen und geflissentlich zu Boden tropfen, ihr Ziel verfehlen. Ein derartiges Feuer wird zwar den Putz mit seinem schmierigem Ruß überziehen. Aber es wird nicht den Mörtel unter den Steinen sprengen.

Wie dem Ingenieur, dem Techniker, dem Handwerker, so ist mir der Entwurf eines klugen Plans aufgegeben. Der Hammer bringt die Lösung. Der Hammer! Er wird an jeder der vier Mauern eine ausreichende Zahl von Löchern in den Putz schlagen. Die Löcher eröffnen dem Schnorchel des Kanisters den Raum, um einen halben Liter Benzin ins Isoliermaterial zu bringen. Mindestens drei Mal werde ich den Kanister für die Arbeit an den Außenwänden neu befüllen müssen.

Auch Hunde-Tommy kommt mit seiner Arbeit gut voran. Dem Augenarzt gelingt es in während meiner Abwesenheit, bereits ein Auge nahezu vollständig aus Paulas Leiche zu entfernen. Als ich abermals das Wohnzimmer betrete, will er gerade den Sehnerv durchtrennen. „Gibst du mir den Hammer?“ Er schiebt das Werkzeug in einem gekonnten Schwung ratternd und klirrend über die Fliesen bis vor meine Füße. Ich hebe den Hammer auf, greife noch hastig eine Flasche Parkbräu Pils und beginne im Schweiße meines Angesichts das anstrengende Gewerk. Dem Fleißigen ist der Erfolg beschieden.

Der Hammer schlägt seiner Bestimmung folgend die Löcher.
Das Bier rinnt seiner Bestimmung folgend durch die Kehle.
Der Kanister vergießt seiner Bestimmung folgend das Benzin.
Alle diese guten Diener tragen das Ihre zum Gelingen bei.

Mein Fleiß und meine Leistung zahlen sich sichtbar aus. Schon nach zwei Stunden ist die Arbeit an den Außenmauern erledigt. Die Isolierung ist gelocht und mit Benzin getränkt. Nunmehr bleiben die Vorbereitungen im Inneren des Einfamilienhauses zu treffen. Das heißt, noch darf ich meine Arbeit nicht beenden. Noch ist die Aufgabe nicht erfüllt. Erst wenn alle Räume und Flure für den großen Brand gerüstet und endlich Paulas schöne Augen im Glas versammelt sind, gehe ich mit gutem Gewissen dem hart verdienten Feierabend entgegen.

Zur ebenen Erde staple ich im Flur alle leichten Möbel zum großen Scheiterhaufen. Ich mag es kaum glauben, wie schnell ich Stühle, Sessel, Kleinkommoden, Schubladen und Hängeregale von ihrem Platz weg zerre und herbei schaffe. Außerdem schleppe ich noch Bücher, Vorhänge, Zeitungen, Order mit Papieren, Zeugnisse, Heirats – und Geburtsurkunden. All diese Dinge stoße und schleudere ich über diesen Schuttberg der Habseligkeiten. Sobald ein Gegenstand meine Hand verlässt, ist er der Gegenwart entrissen. Der Flug übereignet alles Fliegende der in Benzin getränkten Vergangenheit.

Dieses Haus ist jetzt ein Ofen

Chaotisch und durcheinander streckt sich das Tohuwabohu des Verworfenen in aller Breite und Höhe vor mir aus. In seiner Gestalt schenke ich diesem Haus seine neue Ordnung. Denn mein Werk folgt strikt den Gesetzen der Physik. Das große Feuer in der Mitte wird die Luft im Flur erhitzen. Diese steigt durchs Treppenhaus nach oben. So erzeugt sie den Sog. Einem Ofen gleich beschenkt der Sturm die wachsenden, nach guter Nahrung gierenden Flammen mit frischer Atemluft. Damit die frische Brise beständig von unten nach oben weht, steige ich in den Keller hinab, wo der Hammer emsig durch das Glas der Oberlichter bricht.

Sodann schreite ich noch einmal hinüber zur Garage. Es ist die fünfte und letzte Füllung des Kanisters. Das Reservoir des Autos ist entleert, dass das Benzin mag kaum noch fließen. Ich schiebe den Schlauch noch etwas tiefer hinein, dann strömt der Fluss erneut. Nun gehe ich den schwersten Weg des Tages. Schwer werden meine Beine. Die Füße wollen nicht diese Treppe hoch. Dennoch, ich muss es tun.

Eilig begieße ich die toten Kinder, sehe sie dabei kaum an. Sie müssen sich gewehrt haben. Ihre Schädel sind von Hammerschlägen rundum verformt. Die Betten sind voller trockenem Blut. Ein Liter für den kleinen Johann, ein Liter für die kleine Luise, die Türen bleiben einen Spalt breit offen für die Flammen. Einen Liter schüttet der Kanister ins Ehebett. Im diesem Augenblick ruft mich Hunde-Tommy von unten an.

„Otisse! Die haben da oben ein Umkleidezimmer. Schau‘ doch mal nach, ob du dort frische Klamotten findest!“ Tatsächlich. Das Ehepaar hat neben dem Schlafzimmer einen besonderen Raum für Kleidung eingerichtet. Und wirklich, Hunde-Tommy hat Recht. Eine dehnbare Sporthose passt über meinen Hintern, der grau-melierte Pullover hat zwar zu kurze Ärmel. Aber ich behalte ihn trotzdem an. Schnell öffne ich die Schränke und werfe hektisch so viele Kleidungsstücke zu Boden wie ich auf die Schnelle greifen kann. Einen Liter meines letzten Benzins gieße ich darüber, bevor ich die Schlafgemächer verlasse und die hölzernen Stufen der Treppe bis in den Flur hinunter steige.

„Ich bin fertig! Hunde-Tommy hält das kleine Einmachglas hoch: Augen im Glas! Gut hat er das gemacht. Ich sehe Paulas Pupillen im Glas. Wunderschöne Augen sind das. Der Freund bemerkt meinen Kleiderwechsel. Er grinst, sagt aber nichts. dazu. Auch er will das Tagewerk zum Abschluss bringen. „Ich verstaue die Augen schnell im Auto. Wenn ich zurück bin, kümmern wir uns um den Rest. Dann zünden wir und fahren nach Hause“, sagt Hunde-Tommy und verschwindet durch die Haustür. Was meint er wohl mit dem Rest? Übersehe ich etwas, das noch nicht vorbereitet wäre?

Ach ja! Die Küche hat noch kein Benzin abbekommen, obwohl sie sicher eine größere Menge braucht, damit sie richtig brennt. Und die schöne Paula verlangt auch noch einen oder zwei Schoppen. Prüfend schüttele ich den Kanister. Gut. Schätzungsweise ein Liter ist noch drin. Für Paula wird das Benzin womöglich noch reichen. Wenn ich das verbleibende Benzin aufteile, reicht es jedoch für keine der beiden Brandstätten. Immerhin sind jetzt die Augen im Glas. Damit ist der Seziersaal im Wohnzimmer aufgehoben. Das erlaubt mir nun, auch dort die nötige Ordnung zu schaffen.

Noch bevor Hunde-Tommy zurück kommt, gehe ich ins Wohnzimmer und schütte etwas Benzin über die Leiche. Die von den Augen befreiten, tiefen Höhlen im Schädel und der schreiende Mund nehmen die Flüssigkeit gerne auf und sind gefüllt. Wie gut, dass der Benzingeruch die langsam aufsteigenden Leichengase überlagert. Ich schraube den Verschluss auf den Kanister. Just in diesem Augenblick ist der Freund auch schon zurück. „Die Augen im Glas sind im Auto. Wenn du etwas mitnehmen willst, dass lege es gleich vor die Tür“, fordert er mich auf.

Ich nehme den Hammer mit. Das Werkzeug erweist sich als zuverlässig und stark. Er wird mir auch in Zukunft gute Dienste leisten. Ich bringe den Hammer nach draußen. Hunde-Tommy kommt mit. Bevor er über die Schwelle nach draußen tritt, blockiert er die Tür mit einem Keil aus schwarzem Kunststoff, den er vom Boden im Flur aufhebt. Dann lotst er mich zu dem Kasten neben der Ausfahrt vor der Garage und öffnet die Eisentür.

Gelbe Säcke und Spiritus: Es ist vollbracht!

Die Betonkiste ist prall mit Gelben Säcken gefüllt. „Plastikmüll brennt hervorragend“, weiß der Augenarzt. Es dauert nicht lange, bis sechs volle Säcke in der Küche gestapelt sind. Aus einem der oberen Hängeschränke nimmt Hunde-Tommy eine grüne Kunststoffflasche mit Spiritus. „Der ist für den Raclette-Brenner gedacht“, merkt er an und vergießt den hoch konzentrierten Alkohol über den Müll. Das ist alles, was es in der Küche für uns noch zu tun gibt. Wir gehen noch einmal ins Wohnzimmer. Dort holt Hunde-Tommy einen Sack Grillkohle vom Gartengrill auf der Terrasse herbei. Die rußigen Brocken verteilt er über Paulas Leiche. „Die Kohle ist von Johanns neuntem Kindergeburtstag übrig geblieben“, weiß Hunde-Tommy.

Auf sein Geheiß schließe ich die Schiebefenster zur Terrasse und nehme die Anzünder von der Feuerstelle des Kamins. Gemeinsam schauen wir ein letztes Mal in die Garage. Dort lege ich auf jeden der vier Autoreifen einen der Anzünder. Hunde-Tommy nimmt eine Schachtel mit Gartenfackeln vom Regal. „Damit zünden wir jetzt!“

Vor der Haustür zünde ich mit dem Feuerzeug eine Fackel an, gehe mit der Flamme ums Haus. Ich halte die Flamme an jedes vorhin mit dem Hammer geschlagene Loch. Sofort beginnt das Benzin unter dem Putz zu brennen. Als ich wieder bei Hunde-Tommy ankomme, hat er bereits das Auto, Paulas Leiche, den Scheiterhaufen und die Küche in Brand gesetzt. Die Haustür ist jetzt fest verschlossen. Dennoch höre ich das lauter werdende Dröhnen der Flammen und das Pfeifen der durch den Keller einströmenden Luft. Die Brandstiftung ist gelungen. „Die Augen im Glas! Das Haus brennt! Es ist vollbracht!“

Bericht: Claude Otisse

Claude Otisse

Der Journalist und Fotograf Claude Otisse nennt sich Superior und ist Mitglied der Geistlichen Hütte der Kolonie der Auserwählten in Pirmasens.

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