Ein Staubsauger und die verbotene Erektion
„Eine Glocke läutet. Hört ihr das?“, fragt Hunde-Tommy. „Ja, ich höre die Glocke. Und es singt jemand“, ergänzt Lukas, der Prophet. Jetzt höre ich das Geräusch auch. Eine Männerstimme ertönt und ein kleines, helles Glöckchen bimmelt dazu. Der Gesang nähert sich: „Ich bin der Staubsaugermann, weil ich so gut saauuugen kann!“ Ein komisches Lied vom Staubsauger. Wir biegen uns vor Lachen und entkorken drei Gott-Bier. Zisch! Zisch! Die Glocke entfernt sich so schnell wie sie gekommen ist. Bald verklingt sie ganz. Darauf noch ein Gottbier: Zisch!
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Von der Grausamkeit der Zeit
In diesen Minuten telefoniere ich mit Claude Otisse und jongliere mit Zigarette, Export-Flasche und Smartphone. Er sagt: Es ist die Zeit. Die Zeit zerstört die Dinge. Die Zeit kennt weder Gnade noch Barmherzigkeit. Nichts und niemand vermag sich ihr zu widersetzten. Kommt Zeit, kommt Tod. Der abgebrühte Journalist betet schon mal das Vaterunser.
Vor 40 Jahren feierte er seine Konfirmation. Der damals 13-jährige Otisse erhielt stolze Geldgeschenke. 800 D-Mark steckte die Verwandtschaft in die kleinen Taschen seiner viel zu engen Stoffhose. Davon kaufte er gewiss keinen Staubsauger. Sondern dieses Tonbandgerät. Heute aber ist das einstige Objekt heißer Begierde kaputt.
„Die Zeit hat es hingerichtet. So wie sie alles hinrichtet“, meint Otisse. Das Gerät erlaubt weder Aufnahmen, noch spielt es die alten Klänge ab. Die Kondensatoren funktionieren nicht mehr und die Antriebsriemen sind porös. Mechanik, Regler und Schalter bedürfen der fachkundigen Hand des Technikers.
Das Tonbandgerät der Erinnerungen
Kaputt oder nicht? Otisse überlässt mir das Gerät nur leihweise. Zu viele seiner Erinnerungen hängen daran, als dass er es verschenken wollte. Deswegen will er es später wieder haben. Dennoch zögert er keinen Augenblick mit der Zusage. Mehr noch, er will sogar mit dem Auto von Karlsruhe in die Pfalz fahren, um das Tonbandgerät herbei zu schaffen und mir in die Kolonie zu bringen. Der Streit, nach dem ich in die Kolonie geflohen bin, bleibt in diesem Telefonat unerwähnt.
„Was hat er gesagt?“, will Hunde-Tommy ungeduldig wissen. Bevor ich die gute Nachricht überbringe, greife ich in den Gott-Bierkasten: Zisch! „Sag‘ schon!“ Lukas, der Prophet drängt zur Antwort. Doch er muss warten. Zuerst nehme ich drei große Züge aus der Flasche. Einen für Gott, einen für den Heiligen Geist und einen für Jesus Christus. Danach sage ich: „Wir bekommen das Tonbandgerät und das Band. Otisse kommt morgen mit dem Auto und bringt es uns. Es ist kaputt.“
Hunde-Tommy stampft Kippen ins Gras
Die eine ist noch nicht geraucht, da zündet Hunde-Tommy schon die nächste Zigarette an. Er wuchtet seinen schmalen Körper schnell wie ein Stehaufmännchen auf die nackten, sandigen Füße. Auf und ab, hin und her. Hunde-Tommy pendelt nervös in panischen Trippelschritten zwischen dem Apfel- und dem Birnbaum hin und her. Zigarette. Feuerzeug. Kippe. Apfelbaum. Birnbaum.
„Es ist kaputt?“ Hunde-Tommy stampft mit der Ferse eine Kippe in den Boden. Dort wo normalerweise das Gras wächst. Die Glut ist aus. Nein, sie glimmt noch. Apfelbaum, Birnbaum. Er läuft darüber. Er schreit die Kippe gellend an. Zigarette. Feuerzeug. Kippe. Zisch! Ich reiche ihm ein Gott-Bier. Eine Flasche, ein Zug. Flasche leer. Zisch! Noch ein Gott-Bier.
Lukas, der Prophet glaubt, Gott werde auch auf ein kaputtes Tonbandgerät sprechen können. Ihre Allmacht und Größe braucht dazu weder funktionierende Kondensatoren, noch Keilriemen noch Schalter. Gott wirkt einfach eines ihrer Wunder. Es mag schon stimmen, was Lukas sagt. Doch was nützt uns dann die Botschaft von Gott? Gott spricht auf das Band. Aber wir sie können sie nicht abspielen.
Ein Ingenieur der Armut
„Ich kenne einen Mann vom Asternweg in Kaiserslautern. Der Typ war früher mal Elektro-Ingenieur und bastelt jetzt an alten Hi-Fi-Geräten herum. Der kann das Tonbandgerät bestimmt reparieren“, wirft Hunde-Tommy in die Runde. „Hast du die Telefonnummer?“ Hunde-Tommy kennt die Nummer. Er verzieht sich kurz in meine Hütte und ruft den Experten von meinem Handy an.
Zisch! Wir haben eine Gott-Bier-Lösung für unser Problem gefunden. Der Ingenieur kennt das Tonbandgerät vom Typ her und besorgt die passenden Teile. Wir müssen Das Gerät nur zu ihm nach Kaiserslautern schaffen, sobald es da ist. „Es ist einfach wundervoll, wie sich eins zum andern findet, wenn wir den Willen Gottes befolgen“, frömmelt Lukas, der Prophet.
Der singende Mann mit dem Staubsauger
Klingelingeling. „Ich bin der Staubsaugermann, weil ich so gut sauuugen kann!“ Wieder ertönen die seltsamen Geräusche von eben. Aber jetzt sind die ungewöhnlichen Töne deutlich näher gekommen als zuvor. Das Lied erklingt hinter der Hecke. Noch sehen wir nicht, wer und was sich dort abspielt. Weil die Blätter und Äste der Hecke die Sicht versperren.
Doch schon in der nächsten Sekunde schreitet Saskia, die Ehefrau unserer Vorsitzenden Lisa Berg, um die Buchshecke. Die schöne Saskia begrüßt uns mit ihrem strahlenden Lächeln. Sie hat ihr hüftlanges, dunkelbraunes Haar sportlich zu einem Zopf gebunden.
Mit Glocke, Handschellen und Hundeleine
In ihrer rechten Hand hält sie die Schlaufe einer Hundeleine. Am anderen Ende hängt das stramm eingeschnürte Geschlechtsteil von Franziskus. Der fröhlich singende Sklave tönt: „Ich bin der Staubsaugermann, weil ich so gut saauuugen kann!“ Er trägt eine viel zu kurz geratene rosa Kittelschürze. Darunter einen roten Tanga und die nackten Füßen schlurfen in lila Pantoffeln mit roten Puschen.
Seine Hände sind mit pinkfarbenen Handschellen gefesselt. Einen neongelber Kabelbinder trägt das Glöckchen an seinem Penis. Das Glöckchen erklingt bei jedem seiner Schritte. Er steckt in einer Aufmachung wie sie auf die meisten Männer als massive Demütigung gewirkt hätte. Aber Franziskus? Franziskus fließt über über vor Fröhlichkeit. Nichts mehr an ihm erinnert an den verbissenen Vollstreckungsbeamten namens Manfred Kupfer. Vergessen scheint nun die Person, die er bis vor wenigen Wochen noch war. Damals, als er in der Kolonie die säumige Hundesteuer eintreiben wollte. Das blaue Hemd des Amtes ist Vergangenheit. Jetzt lebt er endlich frei und ungehemmt seine Neigungen aus. Ja. Natürlich. Das ist Erlösung! Das ist Wiederauferstehung!
Franziskus, der dichtende Sklave
„Franziskus hat heute Mittag die obere Etage so gut gesaugt wie noch nie. Ich konnte kein Stäubchen mehr finden. Dafür lobe ich ihn. Das Lied vom Staubsaugermann hat er selbst gedichtet“, lobt Saskia stolz die Leistung ihres Sklaven. Der kniet jetzt hinter Saskia im Gras zwischen den Obstbäumen.
„Was ist das auf seinen Oberschenkeln?“, fragt Lukas, der Prophet. „Das war Lisa mit der Reitgerte. Sie hörte gerade ein Andrea-Berg-Konzert. Da hat Franziskus beim Servieren eine Teetasse fallen lassen. Lisa ist völlig ausgerastet und hat ihn verprügelt. Dann sperrte sie ihn für einen Tag ohne Essen und Trinken in der Stehzelle im Keller ein. Dort stand Franziskus, bis ich zurückgekommen bin. Ich erlöste ihn aus seiner Gefangenschaft, weil ich den Sklaven im Haushalt brauchte“, berichtet Saskia lächelnd.
Nach Lisas Attacke rieft Saskia die Hausärztin herbei. Die untersuchte Franziskus. Außer Striemen, Platzwunden, blauen Flecken und geschwollenen Hoden konnte die Medizinerin nichts finden. Das sei für die Gesundheit eines Sklaven keineswegs bedenklich, versicherte sie.
Die Glocke läutet zum Vaterunser
„Franziskus ist ein glücklicher und gesunder Sklave. Ab heute führe ich ihn täglich aus und bewege ihn. Er möchte gerne beten. Er hält sich für einen frommen Mann. Ein wiedergeborener Christ sei er. Mach, bete mit ihm das Vaterunser, Theophil! Er kniet ja schon“, fordert mich Saskia auf.
Ich trete neben ihn und walte meines Amtes als Pfarrer der Pirmasenser Kolonie. Lasst uns beten wie Jesus Christus das Vaterunser zu beten lehrt:
Du, Gott, bist uns Mutter im Himmel, dein Name werde geheiligt. Deine gerechte Welt komme, Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf der Erde. Das Brot, das wir brauchen, gib uns heute. | Erlass uns unsere Schulden, wie auch wir denen vergeben, die uns etwas schuldig sind. Führe uns nicht zum Verrat an dir, sondern löse uns aus dem Bösen. Denn du allein regierst gerecht, du bist mächtig, dir gebührt die Ehre in Ewigkeit. Amen |
Während wir beten, läutet das Glöcklein an Franziskus‘ Penis bei jeder Bewegung. Nach dem Amen am Ende des Gebets küsst und leckt er mit großer Hingabe Saskias Hintern, in den er soeben andächtig sprach.
Saskia bedankt sich bei mir. Dann zieht sie den Sklaven mit der Leine an seinem nunmehr erigierten Geschlechtsteil hoch. Er nimmt vergnügt seinen Gesang wieder auf. „Ich bin der Staubsaugermann, weil ich so gut saauuugen kann!“ Das ungleiche Paar zieht weiter. Im Haupthaus wartet Lisa Berg mit der Peitsche. Seine Erektion ist unerlaubt. Franziskus muss um Erlaubnis bitten, bevor er erigiert. So will es die große Vorsitzende nun mal.
Bericht und Foto: Pfarrer Theophil Meisterberg