Eine blaugrüne Familie unter Beobachtung
Unter dem Dämmerlicht der Laternen quillt ein blaugrüner Lichtschein aus den Fenstern. Manchmal dringen die blaugrünen Strahlen sogar durch die Spalten der herunter gelassenen Rollos. Zugleich zerschneidet ein triumphierender Fanfarenstoß die Zeit. Im Echo der Häuserschluchten rollt die Fanfare tausendfach durch die Stadt. Sie ruft die endlos vielen vor den Bildschirmen zur eingemauerten Versammlung. So beschallt, bestrahlt, beflimmert werden Welt und Mensch in Form gebracht. Informiert, was am Tage für sie wichtig war.
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Familie bei Schnitzel und Pommes
Irgendwo weint irgendein Jonas. Die Mutter ruft sofort: „Ich komme gleich!“ Die blaugrüne Familie klappert mit dem Besteck auf den Tellern. Es riecht nach panierten Schnitzel mit Pommes, Ketchup und Salat aus bunten Tüten. Es spricht eine Frau aus dem blaugrünen Licht. Alsbald verzieht die Flimmernde das Gesicht zur Trauer, bald wieder zur Heiterkeit. Der Vater saugt tief atmend die Krümel der Panade ein. Denn hustet er beinahe erstickend. Zum Wetter würgt er die gespeichelte Panade über den Tisch.
Ich sehe sie. Aber sie sehen mich nicht. Denn ich stehe draußen vor Tür und Fenstern.
Mutterschatten über dem Kinderbett
Im Kinderzimmer geht die Lampe an der Decke an. Der Raum wird hell. Durch die Lamellen des Rollos fallen ovale weiße Flecken auf Asphalt neben mir. Bevor Jonas schläft, legt die Mutter noch eine Tonbandkassette mit einem Hörspiel auf. „Drei Fragezeichen“ heißt die Gutenachtgeschichte, nach der Jonas ruft.
Dann nähert sich die Mutter eilig dem Kinderbett ihres Sohnes. Obwohl von schmaler, zierlicher, beinahe feingliedriger Gestalt, erscheint ihre Silhouette übergroß und monströs als gebrochener Schatten in der Finsternis der Thuja-Hecke. Der gewaltige Mutterschatten beugt sich vor, dann bis zu dem Kind nach und gibt Jonas einen Kuss zur guten Nacht.
Bald wieder im blaugrünen Licht vereint, schweigt das Elternpaar. Die beiden schauen vom Sofa zum betörenden Tanz der Pixeln. Nach anderthalb Stunden gehen beide gleichzeitig zu Bett. Müde sind sie, müde. Bald versinkt das Paar in Morpheus‘ kalte Unterwelt. Aus der Küche brummt und plätschert die Spülmaschine.
Ein Meister der Ölsardinen
Wie geht das Leben der blaugrünen Familie weiter? Das werde ich an diesem Abend wohl nicht mehr herausfinden. Also wird es Zeit für mich zu gehen. Zudem bin ich hungrig. Eine Dose Ölsardinen habe ich noch im Rucksack. Sogar eine kleine Flasche Gottbier finde ich dort. Welch eine Vorfreude auf ein kleines Abendmahl unter dem aufgehenden Halbmond! So entferne ich mich leise schleichend von der blaugrünen Familie.
Auf der am schwächsten beleuchteten Sitzbank in der langen Alle am Fuße des Berg Horeb lasse ich mich nieder. Der Rucksack mit der Wegzehrung steht neben mir. Mein Zeigefinger gleitet in den Ring der Ölsardinendose. Ist einem Ruck entferne ich den blechern federnden Deckel. Mittlerweile beherrsche ich das Aufreißen von Ölsardinendosen derart gut, dass es mir unter allen bisher bekannten Umständen gelingt, an den begehrten Fisch zu gelangen. Selbst widerspenstige, aufrollbare Verschlüsse und abgerissene Ringe bedeuten für mich kein Hindernis mehr.
Dann öffne ich meine kleine Gottbierflasche. Zisch! Und stelle sie neben mir ab. Weil aber die Sitzfläche leicht schräg nach hinten abfällt, droht das Bier abzurutschen. Doch schneller Reflex bannt die Gefahr. Jetzt hat die Flasche ihren sicheren Stand zwischen den gelblich lackierten Bohlen. Ein erster Schluck. Der Halbmond scheint über mir zwischen den Zweigen der Allee hindurch. Derweil meine linke Hand die Dose hält, greife ich mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand die erste Sardine. Aber ich mag meinen Blick nicht vom Halbmond lassen. Und plötzlich kommt mir eine Idee.
Vom Mond inspiriert: Wetten auf das Schicksal der Familie
Wir könnten doch in der Pirmasenser Kolonie Wetten darüber abschließen, wie es mit dieser Familie weitergeht. Was wird ihr Schicksal sein? Wird die Ehe bald geschieden? Rutscht sie in die Armut ab? Wird jemand aus ihren Reihen kriminell und begeht ein Verbrechen? Oder es läuft genau andersherum. Die Familie wird reich und glücklich. Vielleicht purzelt sogar noch ein Geschwisterchen hinterher, damit der kleine Jonas nicht mehr alleine ist.
Ja! Da inspiriert der aufgehende Halbmond wahrhaftig zu hervorragenden Ideen. Wenn unser Techniker versteckte Kameras und Mikrophone installieren, muss niemand mehr vor den Fenstern der Familie spionieren. Die Bilder würden dann auf Bildschirme in der Kolonie übertragen. In einer Wetthütte könnten die Kolonistinnen ihre Vorschläge abgeben und den Einsatz festlegen. Jedenfalls werde ich diese Idee der Geistlichen Hütte und dem Vorstand unterbreiten.
Aber jetzt habe ich meine Sardinen aufgegessen und die Bierflasche geleert. Also wird es Zeit zu Heimkehr. Der Weg führt mich quer durch die nächtliche Stadt. zurück in die Kolonie. Zurück in der Geistlichen Hütte begrüßt mich Hunde-Tommy mit einer frischen Gottbier-Flasche. „Zisch!“ Diesmal ist es eine Große. Gott sei Dank!
Bericht und Foto: Theophil Meisterberg