Ester Berlin
Ester Berlin, die jetzige Leiterin der Geistlichen Hütte der Pirmasenser Kolonie, ist ein Kind der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Ester wurde 1980 als einziger Spross eines Ehepaares geboren, das der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) in hohen Funktionen diente und die kommunistische Überzeugung bis heute nicht aufgab.
Deswegen ist Ester Berlin tief vom kommunistischen Denken geprägt. Obwohl sie dem repressiven System der DDR nicht wirklich nachtrauert, hätte sie sich dennoch einen nicht-kapitalistischen Staat auf dem Gebiet der Ex-DDR vorstellen können, in dem beide deutsche Republiken hätten aufgehen können.
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Ester Berlin sollte ursprünglich Nitro heißen
Weil Mutter und Vater in Betrieben der chemischen Industrie für die Fragen der Weltanschauung und die Enttarnung von Westspionen zuständig waren, sollte die Tochter ursprünglich den Vornamen Nitroglyzerin erhalten. Die Benennung nach dem Sprengstoff sollte der Neugeborenen Vision und Auftrag zugleich werden. Der Name würde ihr den Weg weisen, wie sie im künftigen Leben mit dem Kapitalismus und der verbrecherischen BRD zu verfahren habe, hofften die Eltern.
Jedoch erlaubte das Bitterfelder Standesamt diesen Vornamen zu dieser Zeit nicht. Mutter und Vater Berlin mussten sich einen anderen Namen einfallen lassen. Weil es sich bei dem Sprengstoff chemisch gesprochen um eine Ester-Verbindung handelt, einigten sich die Eltern zur Namensweihe schließlich auf den Vornamen Ester.
Somit ist klar, dass der Vorname Ester Berlins nicht an das alttestamentliche Buch Esther erinnert, in dessen Erzählung eine Königin dieses Namens die Ermordung der Juden in Persien verhinderte. Zwar schildert die biblische Geschichte ebenfalls eine große Heldin, aber doch in einem gänzlich unterschiedlichen Zusammenhang, als sich Esters Eltern ihrer Tochter hätten denken wollen.
Beim Ende der DDR war Ester gerade neun Jahre alt. Ihre Eltern verloren mit dem Niedergang des sozialistischen Staats die gut bezahlten Stellungen wegen der Stasi-Funktionen.
Ester Berlins Vater war aufs Ende vorbereitet
Jedoch hatte Esters Vater das Desaster kommen sehen und war auf die West-Invasion vorbereitet. In den Wirren des Machtwechsels gelang es Herrn Berlin, fast eine ganze Häuserzeile im Osten der Stadt Berlin in sein Eigentum zu bringen. Außerdem soll er Maschinen und Patente des ehemals Volkseigenen Betriebs (VEB) verkauft und das Geld – bereits in D-Mark – in die eigene Tasche gesteckt haben, sagt Ester.
Die Geschäftstüchtigkeit des Vaters kam der heranwachsenden Ester Berlin vielfach zugute. Ester studierte Architektur, erhielt für ihre Entwürfe mehrere hochdotierte Preise, und wirkte bis 2016 an der Neugestaltung der Innenstädte von Dresden, Leipzig und Eisenach mit. Später leitete Ester ein Berliner Architekturbüro. Die junge Frau brachte als Studentin zwei Töchter aus verschiedenen One-Night-Stands zur Welt, weil sie unbedingt Kinder haben wollte.
Neuer Kommunismus in Pirmasens
Als Ester Berlin jedoch von der Pirmasenser Kolonie und dem dort praktizierten religiösen Kommunismus hörte, beschloss sie ihre Wohnung am Alexanderplatz in Berlin aufzugeben und an den pfälzischen Berg Horeb zu ziehen. Die heranwachsenden Kinder ließ sie in der Obhut von Freunden zurück.
In Pirmasens wurde sie bald zur Leiterin der Geistlichen Hütte der Pirmasenser Kolonie gewählt. Somit löste sie den krankheitsbedingt aus dem Amt geschiedenen Pfarrer Theophil Meisterberg ab. In der früheren Schuhstadt lernte Ester den Journalisten Claude Otisse kennen und lieben, mit dem sie nunmehr liiert ist und ihre Hütte teilt.
(Verfasst von Fetthans Pirmasens, auf der Grundlage von intensiven Gesprächen mit Ester Berlin)