Prepper: Fetthans Pirmasens fürchtet sich
Fetthans Pirmasens wird immer sonderlicher. Ist aus ihm ein Prepper geworden? Jedenfalls spricht aus meiner Sicht einiges dafür. Aber auch das wäre möglich: Ich könnte ich mich irren. So könnte etwa meine Wahrnehmung genau von jenen Befindlichkeiten geleitet sein, die ich tief versteckt in meinem Inneren herumtrage. Ohne mir darüber bewusst zu sein, würde ich diesem Mann zuschieben, was ich selbst nicht wahrhaben will.
Doch bevor ich an dieser Stelle mein Inneres entblöße und die Lesenden in finstere Grübeleien und triefendes Selbstmitleid entführe, ziehe ich es vor, möglichst zu berichten, wie sich Fetthans Pirmasens in den zurückliegenden Monaten verändert hat. Dafür nämlich lassen sich durchaus treffend beschreibende Worte finden, die außerdem mit den Beobachtungen anderer Personen übereinstimmen. Bevor ich nun den Blick auf den alten Freund richte, sei um des besseren Verständnisses willen erwähnt, von welchen allgemein bekannten Veränderungen in der Lage der Welt in den folgenden Zeilen die Rede sein soll.
Springe zu einem Abschnitt:
Fetthans Pirmasens beobachtet die Weltlage
Was ist in den vergangenen beiden Jahren geschehen? Nein, nicht hier. Nicht in unserem beschaulichen Pirmasens mit seinem proletarischen Charme. Hier ist nichts ungewöhnliches geschehen. Wenigstens nicht dieses, das von Fetthans Pirmasens Besitz ergriffen hat: Krieg! Am 22. Februar 2022 sind die Russen in der Ukraine einmarschiert. Die Armee mit dem roten Stern hat einen grausamen Krieg entfacht, dessen Möglichkeit den allermeisten Mitlebenden seit Ende der Sowjetunion als weit entlegener Gedanke erschien.
Wo das US-Militär früher Atomsprengköpfe stapelte, die zur Abwehr der russischen Armee auf Raketen montiert werden sollten, halten nun die Info-Tafeln eines örtlichen Vereins die Erinnerung ans nukleare Wettrüsten wach. Die Inschriften informieren beflissen über einstigen die Zwecke der schauerlich bizarren Bauwerke. Bei der Lektüre lief ein wohliger Schauder über den Rücken, als würde mitten im Pfälzer Wald der Kinofilm mit dem Titel „The Day after“ gezeigt.
Hollywood führte dem Publikum der 1980er Jahre drastisch vor Augen, was ein Atomkrieg zwischen Russland und den USA bedeuten würde. Vermutlich beeindruckte die finstere Vision des Katastrophenfilms sogar die Mächtigen jener Zeit. In den Jahren nach Erscheinen des Films bekannten sich die Männer an den roten Knöpfen zur Abrüstung und schlossen gute Verträge. Seit dem Ende der Sowjetunion 1991 erschien die Kriegsgefahr in Mitteleuropa gebannt. Man wähnte sich in Sicherheit, genoss die Friedensdividende und glaubte sich „von Freunden umgeben“.
Der nukleare Albtraum hingegen schien sich einem Einsiedler gleich in die alten Bunkern hinter den Pfälzer Bergen zurückgezogen zu haben. In solch komfortabler Entfernung angesiedelt, taugte der Krieg und seine Schrecken zum willkommenen Grusel. Bei einem Sonntagsspaziergang zur „Area1“ an der deutsch-französischen Grenze nahe des idyllisch gelegenen Dorfes Fischbach mochten sich die Wandernden schaudernd an die vergangene Allgegenwart des nuklearen Untergangs erinnern. Aber das flaue Gefühl blieb nicht lange. Bei frisch gemahlenem Kaffee und gedecktem Apfelkuchen hallte der Schauder noch etwas nach.
Doch am 22. Februar 2022 kehrte die überwunden geglaubte Schreckensvision in den Alltag zurück. Die beständig wiederholten atomaren Drohungen des Kremls mochten zwar als markige Propaganda vernommen und als belangloses Gepolter sich wichtig machender Politiker abgetan werden. Dennoch hinterließen sie ihre Spuren in den Gemütern. In Wartezimmern, bei Konzerten oder Empfängen ist nicht selten der Satz zu vernehmen: „Sie werden die Bombe nicht einsetzen! Oder?“ Das Wörtchen Oder verstört und ängstigt die Menschen. Denn dieses Oder drückt die Unsicherheit über die wahren Absichten der Machthaber in Moskau aus. Das Oder verdeutlicht die Möglichkeit eines Nuklearangriffs in Gedanken und Gefühle ein. Der Krieg war aus dem Museum entflohen.
Zumal die skrupellosen alten Männer ihre Atombomben dazu nutzen, die neuerlichen Feldzüge per Erpressung abzusichern. Was im Kalten Krieg von militärischen Eroberungen abschreckte, haben diese Machthaber nun ins Gegenteil verkehrt. Die Kobolde drohen offen mit der Bombe, falls sich jemand ihren vorrückenden Divisionen ernsthaft in den Weg stellen sollte. Somit ist das Monster der nuklearen Vernichtung in noch gefährlicherer Gestalt aus zuvor wieder auferstanden.
Zumal die Sprengköpfe technisch so entwickelt wurden, dass deren Einsatz den Generälen militärischen Gewinn auf dem Schlachtfeld verschaffen kann, ohne jedoch das bombardierte Areal unbewohnbar zu hinterlassen. Wer die militärischen und politischen Punkte miteinander verbindet, erhält eine wahrhaft finstere Vision von der Zukunft Europas. Mindestens an die nukleare Erpressung müssen sich die Menschen gewöhnen. Aber muss Fetthans Pirmasens deswegen zum Prepper werden? Ist es überhaupt möglich, sich auf einen derartigen Angriff vorzubereiten? Vielleicht sind seine Vorbereitungen auf das Chaos das Resultat bloßer Merkwürdigkeiten und Schrullen, die kaum einer ernsthaften Betrachtung wert wären. Oder verbirgt sich hinter diesen Marotten eine letztlich eine ernsthafte psychische Störung?
Tugendhafte Sparsamkeit und sündiger Geiz
Sparsam ist er geworden, der Fetthans Pirmasens. Sparsam bis an die Grenze des Geizes. Geiz und Sparsamkeit liegen – zumindest äußerlich betrachtet – eng beieinander. Doch wird für gewöhnlich die Sparsamkeit als eine Tugend angesehen, während der Geiz immer schon als Todsünde gilt. Nicht ohne Grund berichtet Dantes Göttliche Komödie von einem der fürchterlichsten Orte in der Hölle.
Dieser Ort soll derart schrecklich und qualvoll sein, dass nicht einmal der Teufel selbst diesen Raum betreten mag. Diese besondere Höllenkammer ist im Unterschied zu der restlichen Hölle kalt wie Eis. Dennoch sei dieser vielleicht qualvollste Teil der Hölle prall bevölkert. Die dort wohnen, sind die Geizigen. Jene also, die besitzen um des Besitzes Willen. Solche arme Seelen, die den Notleidenden beim Verhungern zuschauen und deren langsames Zugrundegehen obendrein für moralisch gerecht erklären.
Aber nein. Weit gefehlt! So einer ist Fetthans Pirmasens gewiss nicht geworden. Die Grenze zum Geiz mag zwar am Horizont erkennbar sein. Aber überschritten hat er die Schwelle nicht. Er steckt jeden verfügbaren Taler in seine Vorräte und Ausrüstung. Diese fortwährenden Anschaffungen von Dosennahrung, Trockenmahlzeiten, Wassertanks, Stromaggregaten und allerlei militärischem Kleingerät lassen ihm derzeit kaum Geld zur Unterstützung der Bedürftigen übrig.Dabei pflegte Fetthans Pirmasens eine selten anzutreffende, überaus einfühlsame Freigiebigkeit für in Not geratene. Er gab gerne, was er erübrigen konnte. Was er den Menschen zukommen ließ, war weit mehr als Geld und Nahrung. Er nahm sich Zeit und hörte zu.
Vorräte und Ausrüstung sollen dem Prepper das Überleben sichern
Seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine ist alles anders. Das nun bei Fetthans beobachtete Verhalten dürfte seiner tief sitzenden Angst entspringen, die Kontrolle über sein Leben zu verlieren. Krieg bedeutet immer, mehr oder weniger den Angriffen des Feindes ausgeliefert zu sein. Vor allem dann, wenn die Möglichkeit besteht, dass nicht nur die wirtschaftlichen und politischen Folgen des Krieges spürbar werden, sondern auch feindliche Waffen mit all den grausamen Zerstörungen die eigene Gegend, die eigene Stadt, das eigene Dorf erreichen könnten.
Die Absonderlichkeiten des Fetthans Pirmasens finden ihren Ausdruck in eindringlich vorgetragenen Fragen wie: „Hast du schon deine Vorräte angelegt?“ Als er mir diese Frage bei einem Spaziergang durch das nächtliche Pirmasens scheinbar beiläufig zum ersten Mal stellte, antwortete ich – nichts von seiner Mission ahnend – mit alltäglicher Selbstverständlichkeit: „Ja sicher. Das Gemüse für Sonntag liegt bereits im Kühlschrank. Dazu brate ich zwei Kalbsschnitzel und koche ein paar Salzkartoffeln. Brot und Käse sind noch in genügender Menge da.“
Wie immer hatte ich den Wochenmarkt besucht, wo Gemüsebauern aus dem Rheingraben ihre Ware feil bieten. Dort konnte ich einen mächtigen Wirsing erstehen. Die Kartoffeln lagere ich nach der Großmütter Sitte im Keller in einer besonderen Kartoffelkiste aus Holzlatten. Bald schon erklärte Fetthans Pirmasens mit leicht panisch klingender Stimme, dass die gewöhnliche Vorratshaltung niemals für das Kommende ausreichen würde. Er hat etwas anderes im Sinn.
Kommt der Tag X überhaupt?
Dieses zunächst rätselhaft erscheinende Kommende bezeichnete in seiner Rede als nichts geringeres als das Ende der Welt, mindestens das Ende Mitteleuropas. Was mein Verständnis für seine Ideen nicht gerade erleichterte. Er meinte, es werde von nun an ein apokalyptisches Drehbuch ablaufen. Magische Reiter, erschallende Posaunen und ein Gottesgericht seien vorgesehen, die menschlichen Akteure seien nichts weiter als Handlanger des göttlichen Plans: „Doomsday!“ Doch zuvor müsse die Menschheit unendliches Leid erdulden. Die Zeichen des bevorstehenden Weltkrieges seien überall zu sehen, meint Fetthans Pirmasens. Der Krieg sei nahe, könne jederzeit sogar über Pirmasens hereinbrechen. Auf diesen Fall müsse er darauf vorbereitet sein. Und eben diese Vorbereitungen betreibt Fetthans Pirmasens mit erschreckender Intensität. Offenbar kreisen seine Gedanken ständig um das erwartete Ende.
Nun, selbstverständlich sehe auch ich diese Veränderungen mit wachsender Sorge. Wenn eine Supermacht wie Russland erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa ein Nachbarland überfällt, sind das Völkerrecht und die Garantie der Grenzen gebrochen, ist die Sicherheit vor militärischer Aggression verloren. Aber deshalb zum Prepper werden und alle verfügbaren Mittel zur Vorbereitung auf den Tag X verwenden?