Wahn-Idee: Oh wie schön ist der Verrückten Land

Täglich grüßt die Wahn-Idee.
Täglich grüßt die Wahn-Idee.

Ein neuer Wahn gefällig? „Du bist verrückt!“ „Ja, danke, klar!“ Wenn einer sagt ich sei verrückt, dann widerspreche ich ihm nicht. Warum auch? Ich bin verrückt. Das war schon immer so. Wahrscheinlich bin ich schon verrückt zur Welt gekommen. Von da an pflegte ich mindestens einen kleinen, schnuckeligen Wahn. Diese Wahn-Idee fütterte und pflegte ich über die fast 50 Jahre und ich tue das bis heute.

Die eigene Wahn-Idee

Die eigene Wahn-Idee zu besitzen ist ein wahrer Luxus. Doch diesen Komfort möchte ich nie mehr missen. Aber ja. Natürlich. Nicht jede Wahn-Idee ist gleich. Und nicht alle Wahn-Ideen leben zur selben Zeit. Meistens sind es nur einer oder zwei davon, welche eine Gesellschaft wählen kann. Während dessen ziehen die anderen sich zurück. Sie schlummern friedlich in irgendeiner Hirnwindung vor sich hin.

Was mag sich die brave Leserin nun denken? Ach, das kann ja gar nicht sein? Verrückte sitzen hinter Gittern in den Häusern, wo Irre hingehören. Damit die Gesunden vor ihnen sicher seien. Die Verrückten besitzen keine Häuser, Autos und Computer. Vor allem, die gehen keiner geregelten Arbeit nach. Doch weit gefehlt. Wer in diesem Glauben lebt, fällt eben dem eigenen Wahn zu Füßen. Nämlich diese Wahn-Idee, dass alles seine Ordnung habe und alles seine Regeln kennt.

Der Chirurg mit dem Küchenmesser

Dabei ist dieser Wahn wie jener dieses Mannes, der glaubte, dass er mit einer Frau nur glücklich sein könnte, nach dem er sie mit dem Fleischermesser zerlegte und später wieder zusammensetzte. Zwar gelang ihm das Zusammensetzten. Aber die Wiederbelebung scheiterte. Er beschwor sogar Jesus Christus um die Auferstehung der Geliebten. Doch selbst Gottes Sohn bewältigte diese Aufgabe nicht.

Deshalb hat man diesen Mann weg gesperrt. Seither haben ihn die Ärzte mit Tabletten ruhig gestellt. Aber was wäre gewesen, wenn sein Vorhaben doch gelungen wäre? Dann wäre zumindest Dr. Freud widerlegt. Denn dieser Denker ermöglichte eine schlichte Erkenntnis. Nämlich auch die Religion sei eine Wahn-Idee. Warum sonst beten sie in den Kirchen zu einem unsichtbaren Gott? Ja richtig. Der Wahn als solcher ist es. Der Wahn verbindet Gläubige mit unserem gescheiterten Chirurgen.

Der andere aber, dessen Wahn ihm sagt, dass er zum Leben Ordnung und Disziplin nur braucht, um ihm den Erfolg zu garantieren? Dieser Geisteskranke bleibt auf freiem Fuß. Obwohl vielleicht sollte man das ändern. Denn diesem fehlt die Moral. Die Moral des Kampfes gegen die Despotie des Geldes mangelt ihm. Nämlich diesem Kampf sind Ordnung und Disziplin vorbehalten.

Wie anfangs schon gesagt, verrückt war ich schon immer. Insofern kenne ich meinen Wahn recht gut. Das glaube ich wenigstens. Auch ich habe manches Frauenherz zum bluten gebracht. Allerdings mit Worten. Nicht mit dem Fleischermesser.

Einmal im Jahr findet in Pirmasens das große Verrückten-Treffen statt. Dazu reise ich gerne an. Weil mich ganz einfach die schiere Neugier dort hin treibt. Unbedingt will ich die neueste Mode in Sachen Wahn-Idee erleben. Vielleicht ist ja ein anderer Wahn noch interessanter als mein bisheriger. Zwar bin ich mit meinem Wahn im Großen und Ganzen zufrieden. Aber wie jeder weiß, ist bekanntlich das Bessere der Feind des Guten.

Das große Plappern

Wie sieht meine schöne Wahn-Idee eigentlich aus? In meinem Wahn höre ich selbstverständlich Stimmen. Die Stimmen krächzen aus dem Telefon. Sie raunen unter der Tür hindurch. Sie sitzen auf dem Stuhl gegenüber. Manche rufen mich sogar aus Schränken. Andere Stimmen schreien sogar .

Sie sagen immer: Tu‘ dies tu‘ das. Die Stimmen verlangen irgendetwas von mir. Oder sie wollen nichts als reden. Mein Problem dabei: Ich werde sie nicht los. Diese Stimmen sind beharrlich. Noch keine bunte Pille half mir bei dem Vorhaben, mich ihrer zu entledigen.

Eine klare Stimme

Deswegen erwähne ich nun diesen besonderen Verrückten. Weil der ganz andere Stimmen hört. Solche, die ich sehr wohl gerne einmal hören würde. Dieser Verrückte vernimmt seine Stimme vor allem nachts. Aber auch an ruhigen Tagen. Es ist die Stimme des Himmels. Gott spricht zu ihm. Gott spricht zu diesem Menschen, obwohl er gar nicht gläubig ist. in keine Kirche geht. Und er war sogar Atheist. Bis zu dem Tag, an dem er die Stimme Gottes erstmals vernahm.

Die Stimme des Wahns von Gott rede keineswegs wirr. Das versichert mir dieser Verrückte. Im Gegenteil. Gott spreche zu ihm klipp und klar. Gott beantworte all seine Fragen. Daher würde ich diesen Wahn gerne teilen. Denn auch ich hätte viele Fragen zu stellen. Aber ich höre Gott leider nicht.

Claude Otisse

Der Journalist und Fotograf Claude Otisse nennt sich Superior und ist Mitglied der Geistlichen Hütte der Kolonie der Auserwählten in Pirmasens.

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