Und im Keller wartet der Satan mit der Axt
Die dreckigen Tasten von Claude Otisse liegen vor mir. Er hat mich an seinen Schreibtisch gelockt. Mich, den Theophil. Den Obdachlosen und Hausierer. Zum Schreiben. Ins warme Haus. Obwohl er er mich kurz zuvor beinahe erschlagen hätte. Beim ersten Zusammentreffen in seinem Keller.
Springe zu einem Abschnitt:
Bücher im Keller der geschlachteten Schweine
Ich habe das Scheunentor aufgehebelt. Habe die Tür zum Keller ausgehängt. Ich bin bei ihm eingebrochen. Claude Otisse hat die theologische und philosophische Bibliothek verbannt. Er hat die Bücher hinab in die Hölle des Kisten-Kellers geschafft. Direkt neben das Brennholzlager. In alten Zeiten befand sich dort der Schweinestall. Aus dem Stein gehauene Tröge, Rost, Ketten und Ösen legen davon ein Zeugnis ab. Hier band der Schlachter die Tiere fest. Bevor er mit dem Messer die Schlagader zerschnitt. Überall der vergangene Schmutz.
Neben den Schweinetrögen stapelt sie ganz oben auf. Die Bananenkiste mit der schwarzen Handschrift „Neues Testament“. Mit den Händen die verschränkten Pappdeckel öffnend suche ich die ersten Bände.
Die Klinge im Schlachthaus der Wissenschaft
Plötzlich taucht er auf wie aus dem Nichts und steht hinter mir. Ein kleines Geräusch dreht mich um. Den linken Fuß stellt er nach vorne. Das rechte Bein nach hinten gegen den Boden gestemmt. Sein linker Arm reckt sich mir entgegen. Die rechte Hand umklammert die Spaltaxt. Claude Otisse ist bereit zum Töten.
In Angst erstarrt halten meine Hände die Kiste. Mein Blick sucht den Seinen. Ich bettle wortlos um das Leben. Doch Otisses Augen schießen vorbei. Seine engen Pupillen markieren meinen Schädel. Er atmet tief. Ruhig. Langsam. Ich erwarte seinen Schlag. Seine Augen blitzen. Ein Luftzug. Dumpfer Einschlag. Schneidender Riss.
Die Klinge fliegt vorbei. Die Axt trifft eine Kiste. Otisse zerteilt ein Buch mit der Aufschrift „Neues Leben – Gottes Wort“. Für einen Augenblick versagen mir die Sinne. Ich sinke zu Boden. Otisse steht. Ich fasse den letzten Mut und sehe hinauf. Dort treffe ich endlich seinen Blick. Er sieht mich an, also tötet er nicht. Erleichterung.
Der Satan bekennt sich zum Christentum
„Ist das auch deine Vergangenheit?“ , frage ich und deute auf das zerschlagene Buch. Ich frage vorsichtig: „Ja!“- „Glaubst du noch an Gott?“
„Ja!“, spricht Otisse mit einer Krähen-Stimme. Dann greift er nach der Axt. Er zieht mit einem Ruck das Werkzeug aus dem Buch „Neues Leben – Gottes Wort“ heraus. Dann befiehlt er: „Steh‘ auf und geh‘!“ Während ich meinen noch immer vor Angst steifen Körper langsam aufrichte, erweitert Otisse seinen eben gesprochenen Satz.
Die Versuchung des bürgerlichen Lebens
Steh‘ auf und geh‘ nach oben!
„Es gibt Kaffee!“
Seine Klinge hat mich verfehlt. Statt dessen trifft mich jetzt die Versuchung des bürgerlichen Lebens. Der Kaffee. Das warme Haus. Der Computer. Die Bücher. Die dreckigen Tasten. Er hat mich also doch zur Strecke gebracht. Ich winde mich unter den Schlägen seiner Worte und will aus dem Schlachthaus fliehen. Doch meine Beine versagen. Wenig später finde ich mich an seinem Schreibtisch sitzend. Wieder schreibend, diese Zeilen tippend. So wie früher
Er hätte mich besser töten sollen in seinem Keller. Aber nun bin ich der Versuchung des bürgerlichen Satans erlegen. Claude Otisse hat das Gottes Wort gespalten. Es liegt im Schweinetrog im Keller des Schlachters.
Bericht: Theophil Meisterberg
Foto: Theophil Meisterberg