Coronavirus: Die Seuche lauert im Supermarkt
Das Coronavirus ist noch nicht so richtig der Südwestpfalz angekommen. Kommt es noch? Jedenfalls verbreiten in der waldreichen Gegend bisher lediglich die Medien die Angst vor Corona. In Pirmasens sind bisher noch keine Krankheitsfälle bekannt. Zumindest sagen das die Gesundheitsbehörden. Aber vielleicht verschont uns das Coronavirus ja wirklich. Dann müsste die Südwestpfalz keine Infizierten, keine Schwerkranken und schon gar keine Toten beklagen.
Warum sollte das Coronavirus einen Bogen um Pirmasens und Umgebung machen? Warum sollte der Krankheitserreger nicht in Rodalben, Zweibrücken, Hauenstein und Hilst aufschlagen? Nun, das könnte einfach am Verhalten und der Lebensweise der Bewohnerinnen liegen. Denn deren Alltag steht der Ausbreitung einer Seuche entgegen. Jedenfalls im Vergleich zu einer Großstadt oder dicht besiedelten Gebieten.
In Pirmasens steigt niemand in überfüllte Straßenbahnen und Busse. Ebenso wenig schiebt jemand seinen verschwitzten Körper durch heillos verstopfte U-Bahn-Stationen, Rolltreppen und Aufzüge. Es gibt keine Universitäten mit brechend vollen Hörsälen. Die Bildungseinrichtungen sind überschaubar und die Leute fahren meistens mit dem Auto.
Pirmasens erlebt höchst selten ein Gedränge vor den Geschäften in der Innenstadt. Konzerte, Kinos und Kirchen sind meistens eher mittelmäßig besucht. Darüber hinaus gibt es in einer Kleinstadt wie Pirmasens kaum Großveranstaltungen, bei denen sich das Coronavirus über sehr viele Menschen verteilen ergießen könnte.
Bis auf eine ganz alltägliche Veranstaltung vielleicht. Die allerdings dürfte an Gefährlichkeit auch für Orte hinterm Wald kaum zu unterschätzen sein. Also wird die Südwestpfalz wahrscheinlich doch nicht ungeschoren davon kommen. Wo lauert die hier die vielleicht größte Gefahr?
Springe zu einem Abschnitt:
Coronavirus trifft Einkaufswagen
Wenn ich die Übertragungswege des Coronavirus bedenke, wie sie die Fachleute nennen, dann müssen wir Provinzbewohner im Grunde vor allen anderen dieses Ansteckungsrisiko in Betracht ziehen: den Einkauf im Supermarkt. Denn dort müssen alle regelmäßig hin, um das Nötigste zu besorgen.
Besonders an den Wochenenden drängen sich dort die Kunden in hellen Scharen. Sie stehen an den Theken um Wurst, Fleisch, Fisch, Brot und Käse an. Manchmal rangeln und streiten sie darüber, wer als erstes drankommt und den Rest vom Wurstsalat ergattert. Danach schieben sie ihre Gitterwagen durch enge Regalreihen, bevor sie sich geduldig an der Kasse auf Tuchfühlung mit den anderen Kunden einreihen, um endlich den Einkauf bezahlen zu dürfen.
Wie sollte es auch anders sein? Einkaufen muss jeder. Der Tausch von Geld gegen Lebensmittel gehört zu jenen Verhaltensweisen, auf denen die gesamte Gesellschaft begründet ist. Diesem Tausch vermag sich selbst die kleine Elite ländlicher Aussteiger nicht vollends zu entziehen. Schließlich will niemand hungern oder auch nur einen Mangel an Komfort erdulden. Doch was geschieht, wenn in einem gut besuchten Einkaufsmarkt nur einer oder zwei Kunden das Coronavirus in sich tragen?
Eine infizierte Person macht viele Gesunde krank
In diesem Fall braucht im Einkaufsmarkt eine von den Behörden unerkannte, infizierte Person nur einmal gründlich zu husten oder niesen. Schon damit können zehn, zwanzig oder mehr Gesunde mit dem Coronavirus angesteckt werden. Klima-Anlage und Lüftung dürften das Ihre zur Verbreitung des Coronavirus beitragen. Wo ist in Sachen Virus der Unterschied zwischen dem Einkauf und dem Besuch eines Theaters oder Fußballspiels?
Die Infizierten müssen von ihrer Infektion noch nicht einmal etwas ahnen. Entsprechend könnte man gegen sie nicht einmal den Vorwurf der Fahrlässigkeit erheben. Was geschieht, wenn gleich mehrere Virusträger das Virus beim Einkauf zum Feierabend und am Wochenende unbemerkt aus ihren Bronchien und dem Rachen unter die Einkaufenden schleudern?
Symptome zwischen Schnupfen, Grippe und Tod
Das passiert: Die Menschen werden krank. Manche fühlen sich eine Weile grippig und verschnupft. Einige erwischt das Coronavirus jedoch so schwer, dass sie auf einer Intensivstation beatmet werden müssen. Ob und welche Folgeschäden das Virus und die Behandlung hinterlassen können, ist selbst den Experten nicht vollständig bekannt. Letztlich wird der Virus-Tod eine unbekannte Schar von Infizierten dahinraffen. Wen wird demnach das Coronavirus am härtesten treffen?
Babyboomer tragen ein großes Risiko
Unermüdlich klären die Fachleute über das Coronavirus auf. Medizin und Biologie forschen ohne Unterlass in ihren Laboratorien und rechnen fleißig Statistiken aus. Nach derzeitigen Erkenntnissen ist die Gesundheit älterer Menschen besonders stark bedroht. Also das Leben jener, die das 50. Lebensjahr bereits überschritten haben. Diese Diagnose trifft neben den Hochbetagten gerade auch die Babyboomer, die zahlreich in den 1960er Jahren geboren wurden.
Das sind die Enkel der Kriegsgeneration, die mitten in die noch junge Demokratie geworfen wurden. Es sind Menschen, die unter dem dauernden Angstgefühl des Kalten Krieges aufwuchsen. Immer bange: Kommt der Atomkrieg? Er kam Gott sei Dank nicht.
Gestandene Männer und Frauen sind das heute, die sich in ihrer Kindheit und Jugend mit der Schuld ihrer Großeltern in der Nazizeit und dem strebsamen Schweigen ihrer Eltern beim Wiederaufbau auseinandersetzen mussten. Die einen rebellierten, die anderen passten sich an. Das alles hat Spuren hinterlassen und manche Babyboomer sogar krank gemacht.
Das Virus trifft mitten ins Leben
Über 50-Jährige ohne Vorerkrankungen? Die dürften eine Minderheit innerhalb der Risikogruppe darstellen. Die Medizin sieht allem voran die Vorerkrankungen als Risiko einer Corona-Infektion mit schweren oder tödlichem Verlauf, die durch die Krankheiten selbst und wegen der Einnahme von Medikamenten die Immunabwehr schwächten.
Egal ob hoher Blutzucker, Herzprobleme oder Depression – wer diese Probleme hat und hatte, sollte in Zeiten des Coronavirus lieber keine Menschenansammlung aufsuchen. Folglich sollten diese Personen auch keinen Supermarkt betreten. Das Risiko könnte zu hoch sein.
Risikopatient Pfarrer Theophil Meisterberg
Deswegen steht unser Pfarrer Theophil Meisterberg unter Quarantäne. Was ihn bisweilen regelrecht quält. Er soll die Pirmasenser Kolonie vorerst nicht mehr verlassen. Was gerade einem Vagabunden wie Theophil überaus schwer fallen muss.
Denn über Jahrzehnte hinweg war er als Hausierer auf der Wanderschaft, nach dem er früh seine erste Pfarrstelle in Bad Liebenzell aufgegeben hatte. Er rebellierte damals als junger Theologe gegen die Sittenstrenge protestantischer Tradition. Erst vor wenigen Jahren ist der Pfarrer in der Gemeinschaft der Pirmasenser Kolonie sesshaft geworden.
Trotzdem treibt ihn der Wandertrieb regelmäßig zu langen Spaziergängen hinaus in Stadt und Land. Dabei beschafft er sich nur zu gerne Bier und Ölsardinen im Supermarkt. Aber mit den alten Gewohnheiten ist es jetzt vorbei. Denn vor ein paar Jahren erkrankte der geistliche Neurotiker an Darmkrebs. Das Karzinom wurde erfolgreich entfernt und trat seither nicht wieder auf. Er glaubt, er sei geheilt.
Vom Krebs geschwächt ist Pfarrer Meisterberg dennoch. Hinzu kommen die Folgen seines Alkohol- und Tabakkonsums und seiner über weite Strecken schlechte Ernährung. Das macht Theophil sicherlich zum Paradebeispiel eines Risikopatienten. Es wäre somit unverantwortlich, diesen Mann in einen Einkaufsmarkt gehen zu lassen, solange die Corona-Seuche grassiert.
Aber es muss nicht gleich Krebs sein, der einen Menschen über 50 zum Risikopatienten macht. In der Pirmasenser Kolonie leben zahlreiche Menschen, die an der verworfenen Welt depressiv wurden und über Jahre hinweg Psychopharmaka einnahmen. Oder solche Männer und Frauen, die einfach nur wenig Sport getrieben haben, die viel sitzen und essen und die obendrein noch rauchen. Glaubt man den Fachleuten, sind auch die leichte Opfer des Coronavirus.
Solidarität hilft gegen das Virus
Aber ich will nicht im Klagen und Warnen vor der neuen Seuche verharren. Denn die Angst vor Krankheit und Tod durch das Coronavirus soll und muss überwunden werden. Die Pirmasenser Kolonie als christlich-kommunistische Lebensgemeinschaft versorgt ihre Risikopatienten bestens. Die jungen Männer aus Togo übernehmen die Einkäufe. Die sind am wenigsten gefährdet. Obwohl dem so ist, hat die Pirmasenser Kolonie natürlich vorsichtshalber reichlich Teströhrchen, Desinfektionsmittel und Schutzmasken organisiert.
Wer wegen der Corona-Epidemie unter Quarantäne steht und nicht arbeiten kann oder will, braucht sich weder um Einkommen noch um Nahrung und Unterkunft zu sorgen. Diese Aufgaben übernimmt die Gemeinschaft der Kolonistinnen.
Niemand stellt sich schlechter, weil er seine Erwerbsarbeit los ist. Die Jungen und Gesunden stehen für die Alten und Schwachen ein. In der Pirmasenser Kolonie wird ein jeder Mensch anerkannt und geliebt. Weil er ein Mensch ist. Nicht weil er etwas leistet oder besitzt. Selbstverständlich trösten sich die Kolonistinnen gegenseitig und geben einander Zuspruch. Dafür ist immer Zeit übrig. Gegen die Vergänglichkeit des Menschen sind wir machtlos. Doch gegen die Kälte und den Egoismus können wir etwas unternehmen.
Das ideologische Debakel
Im Unterschied dazu regiert draußen in der Welt der Verworfenen die pure Unvernunft. Faule Ideologien wie das Lohnabstandsgebot und Marktgesetze fallen dieser Gesellschaft angesichts der Seuche hart auf die Füße.
Wenn beispielsweise die nach Stunden bezahlte Verkäuferin an der Wursttheke ihre Symptome verschweigt und keinen Arzt kontaktiert, weil sie die finanzielle Not fürchtet? Oder wenn der Mini-Jobber mit Fieber und Corona-Husten zur Arbeit erscheint, weil er die Raten für sein Auto bezahlen muss? Ja, dann feiert das Virus ein Fest im Einkaufsmarkt. Die Missstände zeigen, wie dringend Reformen und Korrekturen notwendig sind.