Kefir hilft nicht gegen Wahnsinn
Es gibt wundersame Leute auf dieser Welt. Vermutlich wäre es für die wirklich besser, aus der Apotheke hochwirksame Psychopharmaka zu holen und jeden Tag zu schlucken. Kefir jedenfalls mag zwar als gesundes Lebensmittel bekannt sein. Aber Kefir bannt den Wahnsinn nicht.
So ein heißer Wahn erklärt auch, warum der frühere Augenarzt Dr. Thomas Busenberger seinen Beruf aufgeben musste. Hunde-Tommy entfernte die Augäpfel seiner Patientin, weil ein Löffelskalpell ihm den Befehl dazu gab. Er leistete dem Befehl Folge, ohne dass er auch nur einen kleinen Augenblick lang an Widerstand gedacht hätte. Und jetzt schüttet er seinen täglichen Kefir auf den Boden. Dabei merkt er es nicht einmal.
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Faulender Kefir löst Ekel aus
Mit dem Einzug von Mops Julian kehrte der Wahn offensichtlich zurück. Für sich gesehen wäre es ja auch nicht weiter schlimm, wenn Hunde-Tommy einen halben Liter Kefir auf den Boden leert. Abgesehen davon, dass die milchig-säuerliche Flüssigkeit für jeden Putzlappen unerreichbar in die Spalten zwischen den Eichendielen unserer Hütte sickert. Dort wird der Kefir weiter gären. Fortan wird ein unangenehmer Fäulnisgeruch durch die Geistliche Hütte ziehen.
Solch eine unfeine Irritation des Geruchssinnes wird mein Wohlbefinden zwar vehement stören. Dennoch werde ich die lästigen Gase ohne hinnehmen. Obschon bisweilen das Würgen im Hals verfluchend, werde ich Dr.Thomas Busenberger keinen Vorwurf entgegen schleudern. Schließlich kann er nichts für seinen Wahn.
Hunde-Tommys Empfindlichkeit
Allerdings besitzt Hunde-Tommy ein geradezu seismografisches Empfinden für die Stimmungen anderer Menschen. Damit erkennt er sehr leicht den Widerspruch zwischen meinen Worten der Toleranz und dem durch mein Gesicht unwillkürlich ausgedrückten Ekel.
Diesen Ekel wiederum versteht Hunde-Tommy als gegen ihn als Mensch gerichtete, breite, hohe und unüberwindliche Ablehnung. Denn der Ekel gilt dem Tun seines Wahns. Der gehört untrennbar zu Hunde-Tommy. So gedacht wird klar: Sich vor dem Kefir zu ekeln, bedeutet nichts anderes, als ihm das Dasein vorzuwerfen.
Der Wahn übernimmt das Kommando
Er öffnete den Plastikbecher wie er es in bester Gewohnheit immer tat. Zuallererst nahm er das russische Getränk aus dem Kühlschrank. Mit gewissenhafter Zärtlichkeit zog er die Alufolie ab. Alsbald führte er den Becher zum Mund. Doch bevor der raue Rand Hunde-Tommys Unterlippe berührte, brach er die Bewegung ab. Plötzlich streckte er die Hand mit dem Kefir so weit es nur ging von sich weg. Dann sah er mich an und drehte den Becher zackig wie ein Roboter gleich um 180 Grad. Sodass der Kefir aus dem Becher nach unten auf den Boden klatschte.
Danach führte Hunde-Tommy den nunmehr leeren Becher zurück zum Mund. Er versuchte zu trinken. Er stellte jedoch enttäuscht fest: „Das ist ja schon leer!“ Daher meine ich, dass er den Becher ausgeleert hat, ohne dass er sich dessen bewusst gewesen wäre. Voller Erregung besah er die Flüssigkeit auf den Dielen. Als wäre diese nicht aus dem Becher, sondern als paranormale Erscheinung aus dem Untergrund gequollen. Nein, Hunde-Tommy wusste wirklich nicht mehr, was seine Hand noch vor ein paar Sekunden getan hatte.
Böse Mächte beherrschten den Augenarzt
So ähnlich mag sich zugetragen haben, was über das Ende von Hunde-Tommy als Augenarzt in Kaiserslautern bekannt. Bisher war ich kaum dazu in der Lage, mir ein derartiges Vorkommnis bildhaft vorzustellen. Doch nun erscheint es mir recht deutlich. Dass Hunde-Tommy in einem entscheidenden Augenblick versagte, weil er schon damals in diesen wahnhaften Zustand geriet. Während dieser gegenwärtig ist, steigen jene finsteren Kräfte aus seinem Inneren empor, die Taten auslösen, derer er sich nachher nicht mehr erinnert. Fremde, böse Mächte übernehmen zeitweilig die Kontrolle seines Bewusstseins und Handelns Diese Mächte müssen ihn als Augenarzt dazu gebracht haben, seiner Patientin die Augen zu entfernen, statt zu heilen.
Augen entfernt, statt geheilt
Was war geschehen? Bei der Laser-Operation an den Augen einer 45-jährigen Frau zur Beseitigung eines Sehfehlers ergriff Hunde-Tommy statt den Laser das Löffel-Skalpell. Anschließend schälte der Arzt die Augäpfel aus dem Schädel der Dame. Diese Operation erledigte er zwar präzise und nach den Vorgaben der medizinischen Kunst. Allerdings stand das Ergebnis im Gegensatz zum vereinbarten Zweck des Eingriffs. Die Patientin erwachte diese als Blinde aus der Narkose.
Das besagte Vorkommnis hatte für Dr.Thomas Busenberger selbstverständlich schwere Folgen. Es führte zum zeitweiligen Verlust seiner Zulassung als Arzt. Weil die Praxis hoch verschuldet war, folgte der direkte Weg in den sozialen Abstieg. Es dauerte kein halbes Jahr, bis Hunde-Tommy geschieden und bankrott in einer kleinen Einfachwohnung landete. So eine Unterkunft, wie man sie gewöhnlich Obdachlosen anbietet.
Hunde-Tommy beginnt Kefir zu trinken
Der zuvor bereits als junger Mann höchst renommierte Mediziner schwieg sich zu den Vorwürfen aus. Er trank viel Bier und Kefir, während vor Gericht die Prozesse gegen ihn liefen. Die Zivilrichterin verurteilte ihn zu Schmerzensgeld und Schadenersatz. Ein Strafgericht verhängte später eine Geldstrafe und entzog Hunde-Tommy seine Zulassung als Arzt für fünf Jahre. Inzwischen ist diese Zeit verstrichen. Also darf er jetzt wieder praktizieren. Insofern er das wollte. Er will aber nicht.
Aber er will heute nicht mehr Arzt sein. Weil er sich seiner selbst und seiner Bewusstseinszustände niemals sicher sein kann. Nunmehr zum Pfarrer der Kolonie berufen und ordiniert, trägt er keinerlei Verantwortung. Daher es ist für andere Menschen völlig belanglos, ob er in diesen Wahn verfällt oder auch nicht. Das vertraute er mir kürzlich an.
Weil eben dieser Wahn ein untrennbarer Teil des Hunde-Tommy ist, werfe ich ihm den verschütteten Kefir nicht vor. Vielmehr respektiere ich seine Manie. Er lebt sie nun in Begleitung unseres Mops Julian aus. Soeben ist Hunde-Tommy mit Julian in den Strecktalpark aufgebrochen. Dort darf das Tier dort seine Häufchen absetzen. Der Sohn der Prostituierten, die uns den drolligen Mops verkaufte, heißt Julian. So sind wir auf den Namen für den Mops gekommen.
Pfarrer Theophil Meisterberg
Foto: Claude Otisse