Corona! Das verlorene Rennen um die Freiheit
Corona rennt schneller. Was dachte ich mir bloß in meiner Einfalt? Wie konnte ich meine Beine so sehr überschätzen, dass ich diese verfluchte Wette einzugehen wagte? Ach, wie vermessen und dumm ich war. Vor Überheblichkeit nur so strotzend ließ ich mich darauf ein! Ich sah nur ihre kurzen Beinchen, ihre krummen, widerlichen Tentakel. So wie klein ihre Schritte sein mussten, so mager und dürftig konnte ihr Sprung nach vorne doch nur sein. Also rechnete ich mir den Sieg im Sprint zu gerne aus.
Springe zu einem Abschnitt:
Corona schlägt einen Wettlauf vor
Zu eines Morgens früher Stunde kam Corona über mich in diesem Traum. Sie sprach: „Augenblicklich lebe ich noch ganz weit weg von dir, mein lieber Fetthans. Fern in China verweile ich jetzt noch. Denn dort feiere meine hohen Feste. Tausende der schnellsten Sprinter habe schon ereilt und eingeholt. Die liegen sämtlich aufs Blut geschunden in ihren Betten. Jetzt will ich doch ‚mal sehen, wer von uns beiden schneller ist. Ich komme morgen nach Pirmasens. Wir treffen uns am Exerzierplatz. Dann sprinten wir um die Wette bis zur St.Pirmin-Kirche. Wer gewinnt? Du oder ich?“
Vom wilden Träumen ganz zerzaust, wachte ich zwar auf, kam aber über den Halbschlaf nicht zum Tag hinaus. Nur den warmen Schweiß in den feuchten Kissen spürend, fiel ich zurück in Morpheus buntes Reich. Nunmehr besser zugedeckt, an den Beinen und Füßen nicht mehr frierend. Zerstrampelt war sie nämlich, meine liebste Federdecke. Weshalb ich beinahe ganz im Freien gelegen hatte. Es mag die Kälte gewesen sein. Sie hatte mich wohl ins Licht des Tages schicken wollen. Corona war es sicher nicht. Oder doch?
Von roten Tentakeln gepeinigt
Kaum schloss ich die Augen nach der Schlafespause, rückte Corona schon wieder an mich heran. Ganz nahe sogar schob sie ihren bunten Kugelleib zu mir. Sie drängte hart gegen meine Haut. Die roten Tentakel kniffen mich alsbald ohne Unterlass. So sehr ich meinen Körper unter Coronas Griff auch wand, ich vermochte sie nicht abzuschütteln. Also besser war es wohl, ich fügte mich der Übermacht. „Was willst du noch von mir? Sag‘ mir, warum du mich nicht schlafen lässt!“
Immerhin zog sie gnädig ihre roten Tentakel zurück, bevor sie antwortete: „Wir müssen noch den Wetteinsatz besprechen. Es ist folgender: Wenn du vor mir an der St.Pirmin-Kirche bist, dann verschwinde ich auf Nimmerwiedersehen und du bist frei.“ Langsam wurde mir gewahr, wie hoch der Einsatz dieser Wette war. Um nichts Geringeres als die Freiheit wollte Corona also laufen. Dieses hohe Gut, teurer als das eigene Leben, wollte sie nun als meinen Einsatz sehen. Generationen kämpften auf den Schlachtfeldern um die Freiheit. Tausende Denkerinnen und Rebellen gaben ihr Leben für die Freiheit auf Barrikaden. Andere litten in Gefängniszellen und auf Foltertischen um der Freiheit Willen. Und jetzt kommt Corona daher und will die Freiheit nehmen?
Ein unfaires Rennen beginnt
Ich traute mich kaum, die nächste Frage zu stellen. Dennoch tat ich es: „Corona, was passiert, wenn ich verliere?“ Sie zwickte mich wieder mit ihren Tentakeln. Erst in die Brust, dann in den Bauch und schließlich ins rechte Bein. „Dann werde ich dich viele Wochen und Monate einsperren. Deine Artgenossen rund um die Welt dein Schicksal teilen. Bald schon werdet ihr euch nur noch vage an die Freiheit erinnern und sie vergessen. Du weißt also um was du morgen läufst?“
Mein Kissen, mein Kissen! Das Polster hatte ballte sich nunmehr nass vor Schweiß zu einem harten Klumpen unter meinem Kopf. Wie unfreundlich war es plötzlich, darauf zu liegen! Für einen Moment reckte ich den Oberkörper in den Sitz, schüttelte das Kissen auf, damit es weicher werden möge. Wenig später versank ich wieder in die Federn zurück und setzte meinen Schlummer fort.
Corona stand, nein schwebte neben mir. Wir waren mitten in Pirmasens am Exerzierplatz versammelt. Aber war das hier meine Stadt? So von Menschen entleert und finster im hellen Tageslicht? Fremd und bedrohlich sahen die Straßen und Häuser aus. „Bist du bereit, Fetthans?“ Ja, ich war bereit. Corona zählte von zehn herunter.
Noch vor der Null raste ich los. Die Schlossstraße rannte ich entlang. Welch eine fürchterliche Hatz! Aber ich sah Corona nicht vor mir. Das Café Blum, ich rannte quer über die Fahrbahn. Es war frei, keine Autos kamen heran. Jetzt das C&A-Kleidergeschäft, gleich bin ich da. Immer noch sehe ich Corona nicht vor mir. Endlich bin ich im Ziel. Geschafft!
Corona ist mit der Natur im Bunde
Die Oberschenkel brannten, meine Seite stach, ich schnappte tief nach Luft. Um etwas Entspannung zu finden, beugte ich mich nach vorn, glaubte noch an den Sieg. Doch als aufblickte, schwebte sie vor mir: „Erste! Ich war zuerst im Ziel!“ Entsetzt fragte ich mich, wie Corona schon an der St.Pirmin-Kirche sein konnte.
Sie muss doch hinter mir gewesen sein, weil ich sie vor mir nicht gesehen habe. Mein verzweifeltes Gesicht mochte ihre die Frage ohne Worte gestellt haben. Jedenfalls antwortete Corona: „Ich war schneller als deine Augen wahrnehmen konnten und habe dich überholt. Deswegen hast du verloren, Fetthans. Danke dafür. Jetzt gehört mir deine Freiheit und die der ganzen Menschheit dazu.“
In mir erhob sich gleich der Zorn. Das Rennen konnte nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. „Nein, Corona. Du hast nicht gewonnen. Unsere Wissenschaftler werden dich bekämpfen. Wir werden dir unsere Freiheit nicht ohne Krieg überlassen.“ Ich trat vor sie hin und erhob die Hand zum Zeichen des Widerstands. Doch Corona lachte schallend. Es war ein böses Lachen, das von den Sandsteinmauern der St.Pirmin-Kirche widerhallte. Bin ich dem Teufel begegnet?
Corona verhöhnt die Wissenschaft
Und wieder schien Corona meine Gedanken auf rätselhafte Weise zu erraten. „Nein. Ich bin nicht dein Teufel. Ich bin auch nicht dein Gott. Ich bin die Natur. Die Natur beherrscht euch solange du glaubst, du könntest sie beherrschen. Eure Wissenschaftler haben eine handvoll Naturgesetze erkannt. Aber die nützen dir nicht. Ab jetzt übernehme ich die Macht!“ Dann schwebte Corona unter einem fürchterlichen Lachen über den Schlossbrunnen davon.
Nun lag ich endlich wach. Es pochte an der Zimmertür. Ester Berlin rief: „Aufstehen, Fetthans! Es gibt was zu tun! Corona ist überall. Wie müssen den Armen und Alten helfen, die sind in Not!“ Zwar befreite mich der Weckruf aus dem bösen Traum. Doch er führte mich in meinen Tag, der dem Traum an Schrecken noch übertreffen sollte.
Es herrschte Ausgangssperre. Zwar haben die Politiker eine milde Form befohlen. Aber in Wahrheit herrschte Corona im Bunde mit der Natur über das Land und den Globus. Die Freiheit schien verloren. Einstweilen aber nur. Denn der Krieg hatte erst begonnen.