Digitales Foto: Drei Clan-Chefs im Abendrot
Ein digitales Foto kommt ohne Künstler aus. Und wo kein Künstler ist, da ist auch keine Kunst. Die Rolle des Künstlers übernimmt die App. Dennoch glaubt der Pöbel beharrlich, die digitale Fotografie sei ein poetisches Zeichnen mit Licht. Folglich verehren sie diesen gruseligen Götzen der Industrie als neuen Heilsbringer.
Sie beten zu diesem Messias der Hochtechnologie. Sie bringen ihm ihre Opfer dar wie einst die Griechen den Göttern des Olymp. Ein digitales Foto möge sie dank Internet unsterblich machen. Ihre Knipserei soll er im Strom der Zeit verewigen. Doch der Apparat wurde von anderen Automaten gebaut. Aber nicht von Menschenhand. Damit ist er selbst nichts anderes als ein Automat.
Als Automat soll die digitale Kamera in jeden Händen das genaueste jemals hergestellte Abbild der Welt erzeugen. Verirrte Narren wähnen sich als Fotografen und schwärmen voller Inbrunst von Schärfe, Farbtreue und Detailgenauigkeit. Weshalb sie meinen, das errechnete Bild sei Kunst und sie seien die Künstler.
Kurzum: In Wahrheit jedoch liefert dieser schmeichelnde, feine Knöpfe tragende Apparat nichts weiter als bunt eingefärbte Punkte auf dem Rechenbrett. Ich stelle mir Bedauern fest, unser Bestatter und Pressesprecher Fetthans ist exakt ein solcher Narr, der an die Heilsversprechen der Automatenbauer glaubt. Obwohl mit großer Intelligenz gesegnet, erwarb er Unlängst erwarb er eine neue Digitalkamera. Auf diesem Altar brachte er sein Opfer dar.
Springe zu einem Abschnitt:
Ist ein digitales Foto wirklich Kunst?
Daher frage ich Fetthans jetzt: „Wer von beiden ist die Künstlerin? Ist es die blinde Schriftstellerin, die ihrem Stenotypisten ein Werk zum Diktat gibt? Oder ist es der Stenotypist?“
„Was ist hier die Kunst? Die sauber aufs Blatt geschriebenen Zeichen? Oder ist es die Bedeutung der Worte?“
„Theophil, auf diese Fragen antworte ich nicht gerne. Denn sie nehmen die Antworten vorweg. Selbstverständlich ist die blinde Schriftstellerin die Künstlerin. Die Bedeutung der Worte ist die Kunst. Insofern bleibt der Stenotypist nur der Handwerker. Die Schrift ist seine Handwerkskunst. Dennoch brauchen sich beide.“
Kritik an digitaler Kunst – Intellektueller Hochmut?
„Ja, natürlich. Schließlich bin ich nicht so blöd wie du offensichtlich denkst. Sondern ich begreife deine Kritik sehr wohl. Du behauptest, eine Digitalkamera kann niemals die seelische Befindlichkeit eines Menschen ausdrücken. Aber du fotografierst doch selbst damit! Oder, um es mit deinen Worten zu sagen, du erzeugst Computergrafiken. Folglich machst du nichts anders als der Scharfschütze und ich. Deswegen solltest du deinen intellektuellen Hochmut doch etwas zurückschrauben.“
Digitales Foto und Vincent von Gogh
„Wieso Hochmut? Was redest du, Fetthans? Ich will das alles doch gar nicht bestreiten. Ja, das iPhone des Scharfschützen stellt sehr schöne Computergrafiken her. Weil er mit seinem geübten Scharfblick in der richtigen Sekunden den Auslöser drückt. Es ist eine Frage des Stils. ‚Zweibrücken – Wie wir die Heimat lieben‘ und auch das ‚Selfie mit Sturmgewehr‘ sind ausgesprochen gut gemacht. Dennoch: Unendliche Weiten trennen die Selbstbildnisse eines gewissen Vincent van Gogh vom Selfie aus dem Smartphone.“
Darin ist Fetthans anderer Meinung: „Ich sehe durchaus eine Gemeinsamkeit zwischen Van Goghs gemalten Selfies und den elektronischen Selbstbildnissen des Scharfschützen. Sooft sie sich selbst malen und abbilden, huldigen die Bilder dem Ego ihres Erschaffers. Jenem entgrenzten und vermessenen Ich. Wiewohl sie ihr eigenes Ego als Gottheit lieben und es zugleich abgrundtief in den Tod hinein hassen.“
Der Dorida-Clan kommt
Alldieweil Fetthans in der Geistlichen Hütte der Pirmasenser Kolonie am Computer angestrengt das digitale Foto aus dem Strecktalpark in Pirmasens bearbeitet, trinke ich in aller Gelassenheit mein Gottbier – Zisch! Im Strecktalpark trafen wir die Dorida-Drillinge. Diese Brüder sind die Chefs des vermutlich mächtigsten Clans in Europa. Die drei Häuptlinge nahmen mit uns Kontakt auf. Der Clan will sich in Pirmasens niederlassen. Deswegen suchen die Dorida-Drillinge nach passenden Immobilien.
Die Clan-Chefs interessieren sich für Wohnhäuser in der Hauptstraße, der Bahnhofstraße, der Schlossstraße und am Exerzierplatz. Dort wollen sie Teile ihrer weit verzweigten Familie unterbringen. Wohingegen die Häuptlinge und ihre mit Pelz bemäntelten Gattinnen herrschaftliche Anwesen am südlichen Stadtrand von Pirmasens bevorzugen.
Mit falschen Zeugnissen an die Schaltstellen der Macht
Zunächst zögerte ich, weil der ganze Protz und Prunk so gar nicht zu unserer Pirmasenser Kolonie passen will. Genauso wenig wie die althergebrachte Männerherrschaft. Aber dann entschloss ich mich nach längerer Bedenkzeit schließlich doch, den Clan an Adressen zu vermitteln, welche den Dorida-Drillingen den Zugriff auf die gewünschten Häuser gewähren können.
Denn der Dorida-Clan ist dafür bekannt, die besten Dokumentenfälscherinnen in seinen Reihen zu haben. Weil wir Personalurkunden und Zeugnisse nebst passendem Eintrag in den Datenbanken der Behörden und Bildungseinrichtungen brauchen. Denn wir wollen unsere Leute an den Schaltstellen der Macht platzieren. Deswegen haben wir uns auf den Kontakt mit dem Clan eingelassen. Damit er der Kolonie nützlich sein möge.
Allerdings sind die Verhandlungen noch nicht ganz abgeschlossen. Wir werden die Dorida-Drillinge ein weiteres Mal im Strecktalpark treffen. Damit wir eine Übereinkunft zum beiderseitigen Vorteil abschließen können. Dort könnten wir noch ein digitales Foto machen.
Der Clan vermarktet Bio-Produkte
Ihr Vorschlag lautet: Wir schützen den Clan in Pirmasens vorm Zugriff der Polizei. Im Gegenzug liefert der Dorida-Clan die Urkunden und hackt die Datenbanken. Außerdem vermarkten die Brüder die Bio-Produkte unserer Landwirte. Schließlich kontrollieren die Doridas Öko-Läden und Veggie-Restaurants in ganz Europa. Jedoch müssen unsere Vorstandsfrauen dem Vertrag noch zustimmen.
Fetthans erfüllt seine Chronistenpflicht
Die Dorida-Brüder wollten nur von hinten fotografiert werden. Trotzdem kam Fetthans kam seiner Chronistenpflicht gerne nach. Aber sie wollten nicht erkannt werden. Daher drehten sich die Dorida-Drillinge zum abendlichen Horizont. Vor der Streckbrücke im Abendrot, wie es nur an klaren Winterabenden zu sehen ist.
Auf dem Bildschirm wirkt das digitale Foto etwas künstlich. Fetthans hat die Farben zu sehr verstärkt. Dadurch wird der Himmel pixelig. Das geht so. Aber Fetthans muss noch viel lernen.
Bericht: Theophil Meisterberg
Foto: Fetthans Pirmasens