Fiese Tricks und ein Tonbandgerät
2000 Jahre nach der Kreuzigung Jesu Christi lässt sich Gott mal wieder blicken. Diesmal in der Gestalt einer Frau. Als solche will sie ihre Botschaften auf ein Tonbandgerät diktieren. Vom Berg Horeb schickt sie Lukas, den Propheten. Sie will mit uns ins Gespräch kommen. Und, so scheint es jedenfalls, will sie deutlicher werden als je zuvor. Aber können wir dieser Gottheit vertrauen? Oder will sie uns verarschen?
Springe zu einem Abschnitt:
Gottes undurchsichtige Absichten
Gott spielt gerne mit den Menschen. Als wären Menschen ihre Barbie-Puppen. Das bezeugen schon die alten Schriften. Noch als Mann schickte Gott sieben Plagen nach Ägypten, zog den Stöpsel aus dem Roten Meer, warf Manna in die Wüste und zündelte an Büschen. Sie half ihren Leuten. Ja, das stimmt.
Aber sie quälte Hiob, reißt mit Posaunenschall die Mauern von Jericho ein und feierte den Krieg. Was auch immer geschrieben steht, ihre Botschaften bleiben für die Menschen letztlich widersprüchlich und rätselhaft. Damit stiftet sie Verwirrung. Gott selbst brachte das Elend in die Welt. Sie sah dem Leiden zu und genoss ihre Allmacht. Daraufhin verteilte sie ihre heilende Gnade wie eine despotische Herrscherin.
Teile und herrsche
Gott zerstörte den Turm zu Babel. Motto: Teile und herrsche! Wenn jeder plötzlich seinen Nächsten nicht mehr versteht, hat Gott ein leichtes Spiel. Ungehemmt darf sie ihre Macht entfalten. Wozu steht dieses Gleichnis im alten Testament? Wahrscheinlich als Warnung der Nachwelt vor Gottes miesem Charakter. Es wäre doch am besten, wir hängen dieser Gottheit eine gelbe Warnweste über. Damit jeder und jede die Gefahr schon aus der Entfernung erkennt und einen weiten Bogen um Gott macht.
Die Folge der Sprachverwirrung ist ja die, dass immer nur Gleich zu Gleich sich findet. Weil die Menschen in verschiedenen Sprachen reden, fassen sie auch den Willen Gottes unterschiedlich auf. Religionen und Konfessionen bilden sich heraus. In ihrem Gefolge entsteht das vielleicht größte Übel der Menschheitsgeschichte: die Nationen und die Kriege .
Diese teuflischen, aber gottgewollten Gebilde führen Kriege um den rechten Glauben. Sie streiten um die Weltmacht und um den größten Reichtum. Gott weiß das. Sie will das so. Alles. Denn geschähen die Ereignisse dieser Welt gegen ihren Willen, wäre sie nicht allmächtig. Also überhaupt nicht Gott. Ist sie aber Gott, dann eine mit bösem Willen. Jetzt verlangt sie auch noch, wir sollen ein Tonbandgerät auf den Horeb schleppen.
Mach‘ Dir ein Bild von Gott!
Ich habe größte Furcht. Ja, nur Furcht, nicht Ehrfurcht davor, was diese Gottheit uns jetzt wieder an Hinterhältigkeit zumutet. Es heißt ja, man soll sich kein Bild von Gott machen. Aber gegen die Bilder im Geiste ist das Verbot ein ausgemachter Blödsinn. Weil es nicht wirkt. Und weil es von Vorteil ist, diese Gott zu kennen.
Daher mache ich mir sehr wohl ein Bild. Wenn Gott das Geschlecht wechselt wie es ihr passt, ist sie zweifellos transsexuell. Wenigstens das ist sicher. Auch wenn es im Fall Gottes am Ende nur eine Frage der Grammatik sein mag. Meine Fantasie träumt mir eine veritable Tunte. Schrill, schwul, lesbisch und hetero zugleich ist diese Gott. Und immer scharf auf ausgefallene Spielchen. Das wäre durchaus sympathisch, wenn es denn ein bloßes Spiel wäre.
Eine sadistische Gottheit
Die Bibel legt Zeugnis ab von Gottes sadistischen Praktiken. Glaube, Unterwerfung und Sex sind dort ein und dasselbe. Fesselspiele bei Simson und Deliah, Cunnilingus im Hohen Lied der Liebe, Hiob und die Kreuzigung als Höhepunkt göttlicher Rollenspiele. Lust am Schmerz bis in den Tod. Aber der ist echt und nicht gespielt. So also funktioniert die Christenheit.
Der Preis von Erlösung und Vergebung der Sünden ist die Nachfolge. Sie nennt das Gnade. Ich nenne es Erpressung. Denn wer nicht nachfolgt, wird gnadenlos von der Gnade aussortiert. Da wir aber keine andere Wahl haben, meckern wir zwar, aber wir turnen am Ende doch mit.
Die Wege Gottes sind bekanntlich unergründlich. Darin sehe ich noch eine kleine Hoffnung glimmen. Vielleicht will sie diesmal doch etwas ganz anderes als Leid und Unterwerfung für die Menschen.
Gott ist Erfinderin der Erpressung
Ja. Gott ist die Erfinderin der Erpressung. Darauf hält Gott das Patent. Manchmal vergibt die Gottheit eine Lizenz an Diktatoren, Kapitalisten und andere Verbrecher. Aber selbst ihre Komplizen wissen nicht, ob es Gott gerade ehrlich meint. Oder ob sie die Menschen einmal mehr in einen fiesen Hinterhalt lockt?
Weder magische Beschwörungen, noch innige Gebete schaffen darüber Gewissheit. Weil wir das wissen, singen wir in der Pirmasenser Kolonie mit Andrea Berg den Schlager: „Du hast mich 1000 Mal belogen.“ Dieser Song verdient es, in jedes Kirchengesangbuch dieser Erde gedruckt zu werden.
Gottbier, Brot und Ölsardinen
Wie dem auch sei, bevor Gott ihre neue Botschaft überhaupt übermitteln kann, muss ich dieses Magnetophon besorgen – einschließlich der Musik von Emerson, Lake & Palmer. Da zeigt sich Gottes erpresserisches Geschäft einmal mehr. Aber ich gehorche. Schließlich ist sie stärker als ich. Religion ist nun mal totalitär.
Lukas, der Prophet und Hunde-Tommy sind bereits munter, als ich aus der Nacht erwache. Sie reden und diskutieren. Ich öffne die Augen. Dann schließe sie gleich wieder, drehe mich zur Seite. Ich mag nicht. Noch nicht. Eine letzte kuschelige Viertelstunde im Schlafsack. Dann aber beginne ich den Tag. Wo bekomme ich auf die Schnelle das Tonbandgerät her? Diese Frage quält mich. Ich weiß es nicht. Außerdem schmerzt mir der Rücken und der Hunger plagt mich.
Ein Bote bringt mir täglich frisches Brot an die Hütte. Jeden zweiten Tag liefert er eine Kiste Export. Mein Gott-Bier. Als Pastor der Kolonie und zweiter Vorstand des Vereins für Europäische Gemütlichkeit steht mir das zu. Dieser Service zählt zu den Privilegien des hohen Amtes. Ist heute ein zweiter Tag?
„Theophil! Aufstehen! Frühstück!“ Lukas, der Prophet weckt mich. Bei geschlossenen Augen klingt seine Stimme wie die meines Vaters. Die Erinnerung an Kindertage. Wie schön und schmerzhaft sie doch ist. Bevor mich die Trauer zu Boden ringt, stehe ich lieber auf. Ja, es ist ein zweiter Tag. Die beiden sitzen bei einer frischen Kiste Export und essen Brot mit Ölsardinen. „Komm, setzt dich zu uns. Heute haben wir viel zu tun“, meint Hunde-Tommy. Zisch! Ich nehme ein Export.
Das Unbehagen vom Magen her
Ölsardinen mag ich an diesem Morgen nicht. Ich nehme Brot und zwei Äpfel. Auch das Export will mir nicht so richtig schmecken. Ich leere das Bier ins Gras, spüle die Flasche und fülle sie mit Leitungswasser.
„Theophil? Stimmt etwas nicht mit dir? Fühlst du dich nicht wohl? Bist Du krank?“ Hunde-Tommy sorgt sich um mich. Seine Fürsorge überrascht mich. Aber ich mag seine Zuwendung nicht. Außer einer fremden Vertrautheit verbindet uns nichts. Freundschaft? Nein. Das nennt sich nur so. Das hier ist keine Freundschaft. Er ist ein Kolonie-Kumpel. Nicht mehr als ein x-beliebiger Auserwählter, den ich aufnehme und zur Kolonie-Reife führe. „Mir geht es gut. Ich hänge nur den Träumen nach. Das geht vorbei.“
„Was hast du denn geträumt?“ Das will Lukas, der Prophet jetzt wissen. Der junge Mann ist sehr neugierig. Neugieriger als ich am frühen Morgen ertrage. Dennoch antworte ich: „Von Claude Otisse habe ich geträumt.“ Aber mehr sage ich nicht über den Traum. Der Gedanke an die zerbrochene Freundschaft beunruhigt mich zu sehr. Doch Lukas ist beharrlich: „Könnte uns Claude Otisse ein Tonbandgerät leihen?“
Ein altes Tonbandgerät von Claude Otisse
Das ist es. Das ist die Lösung. Otisse besitzt eine kleine Sammlung von alten Hi-Fi-Geräten. Ich erinnere mich. Ja, da ist auch ein Tonbandgerät in seiner Abstellkammer. Er benutzt es nicht mehr. Aber es ist da. „Ja, Lukas, der Otisse könnte ein Tonbandgerät haben.“ Sogleich fällt der Satz, den ich so sehr fürchte: „Dann ruf ihn an. Jetzt. Mit dem Handy.“
Zisch! Gott auf dem Horeb, Gottbier in mir. Ich werde Otisse tatsächlich anrufen müssen. Dabei gilt mein Nein ohne jedes Ja. Nie mehr Kontakt zu Claude Otisse. Bis zum Streit war er für mich ein Freund. So erschien er mir jedenfalls. Für ihn jedoch war ich nie mehr als ein vertrauter Fremder. Ein Gegenstand seiner Gewöhnung. Den er zwar wiedererkennt. Aber den er nicht mehr achtet als sein abgetragenes blaues Hemd.
Seit meiner Flucht vor seiner Gewalt fragt er nicht mehr nach mir. Als hätte er das alte Hemd nun abgelegt. Dieser eiskalte Psychopath. Den, der seine Drohung mit der Axt zum heiteren Scherz erklärt, soll ich nun um sein altes Tonbandgerät bitten. Weil Gott es so will.
Eine Flasche Export in drei Zügen
Ich sauge meine Flasche in drei langen Zügen leer. Ein Zug für Gott. Einer für Jesus Christus. Und noch ein letzter für den Heiligen Geist. Zisch! Und hinterher noch eine volle Flasche Bier für die heilige Dreifaltigkeit als Ganzes. „Das Export wird uns heute nicht reichen“, warnt Hunde-Tommy. Er flößt sich gerade seine dritte Flasche Gottbier ein.
Ich tröste ihn: „Mach dir keine Sorgen. Wenn mit Otisse fertig bin, rufe ich den Getränkeladen an. Die sollen uns eine größere Ladung vorbei bringen. Zehn Kisten müssten reichen bis zum Wochenende? Was schätzt du, Hunde-Tommy?“
Mit dieser Menge Gottbier ist der Novize einverstanden. 200 Flaschen mit je einem halben Liter ergeben 100 Liter Export für drei Männer. Das ist nicht herausragend viel. Aber drei Tage werden wir damit hoffentlich auskommen.
Ein schmieriges Telefonat
Fisch und Tabak müssen wir noch einkaufen. Für den Großeinkauf nehmen wir das Auto der Kolonie. So müssen wir nicht zu schwer schleppen. Denn mit dem Wagen können wir bequem bis vor die Hütte fahren. Obwohl, mit körperlicher Arbeit ist der Einkauf natürlich doch verbunden. Diese Art von Arbeit ist unter uns zwar grundsätzlich unbeliebt. Aber das Nötigste erledigt die geistliche Hütte wenigstens teilweise ohne die Unterstützung dienender Hände.
Es ist soweit. Ich schreite zu meinem Verschlag. Dann ergreife ich das Smartphone und wähle Claude Otisses Nummer. Ob er mir das Tonbandgerät überlässt?
Bericht: Theophil Meisterberg
Foto: Claude Otisse