Fette Bombe: Wo versteckt sie sich?
Wie leben die Menschen mit einer gewaltigen Bombe im Keller? Diese spannende Frage beschäftigt mich seit meinem Besuch in der Pirmasenser Kolonie am zweiten Weihnachtstag. Und das aus gutem Grund. Der Fetthans Pirmasens behauptet nämlich, dass damals ein Zeuge den Abwurf beobachtet hätte. Demnach sei am 17. März 1945 eine tonnenschwere Sprengbombe zu Boden gegangen. Der Sprengkörper schlug dem Bericht zufolge zwar ein, aber er explodierte nicht. Seither ist die gewaltige Bombe in Vergessenheit geraten. Trotzdem muss sie da sein. Nur, dass niemand genau weiß, wo sie heute liegt.
„Die Bombe ist an einer vom Regen aufgeweichten Stelle in den Erdboden eingedrungen. Danach verschwand sie unter dem Fundament eines größeren Gebäudes“, zitiert Theophil Meisterberg den gelernten Bestatter und Historiker bei unserem Spaziergang durch Pirmasens.
Also könnte die Bombe tatsächlich noch existieren. Denn wäre die große Bombe damals im Fundament des größeren Gebäudes explodiert, müsste es Berichte über die Explosion geben. Diese fehlen jedoch, sagt Fetthans Pirmasens.
Springe zu einem Abschnitt:
Ist der Zeitzeuge zuverlässig?
„Es sei denn, man hat das Gebäude nach dem Krieg abgerissen. Dann liegt die Bombe nach wie vor unentdeckt im Untergrund. Sofern niemand das Fundament nach Sprengkörpern absuchte.“ Meiner Vermutung stimmte Theophil uneingeschränkt zu. Aber er gab mir noch etwas zu bedenken.
Freilich muss die Wahrnehmung des Zeugen unter dem Eindruck des schweren Fliegerangriffs und der vielen Brände und Explosionen eingeschränkt gewesen sein. Womöglich hat er die Bombe fallen sehen. Dann ging er aber vor dem Einschlag in Deckung. Schließlich setzte der vermutlich 1,8 Tonnen schwere Sprengkörper – die deutsche Bevölkerung nannte ihn Badeofen – eine tödliche Druckwelle frei. Ebenso gefährlich waren umher fliegende Trümmerteile und Glassplitter.
„Der Zeuge soll sich zur Zeit des Abwurfs im Winzler Viertel in Pirmasens aufgehalten haben. Er schaffte es angeblich nach dem Alarm nicht mehr rechtzeitig in den Bunker. Kann er von dort aus die Flugbahn des Badeofens überhaupt beobachtet haben?“ Theophil beantwortete meine Frage mit einem eindeutigen Ja. Nachdem Fetthans von seiner Erinnerung an den Zeugenbericht gesprochen hatte, unternahmen die beiden Kolonisten eine Exkursion. Diese führte die Forschenden an jenen Ort, wo sich der Mann 1945 befunden haben soll.
Wir können die Bombe nicht mehr finden
Augenscheinlich ergab sich bei der Exkursion, dass der Zeuge mindestens einen Teil der von Südwesten nach Nordosten verlaufenden Flugbahn des Blockbusters beobachten konnte. Aber nun ist es bekanntlich so, dass wir Menschen zwei Quellen der Erkenntnis besitzen. Unsere Sinne und die Vorstellungskraft. Da wir die Bombe heute nicht mehr sehen können, müssen wir sie uns eben vorstellen. Dadurch kommen wir zu der realen Möglichkeit des Badeofens an oder unter dem Fundament eines großen Gebäudes. Da man sie auf Grund der Luftbilder nicht finden konnte, muss sie schließlich irgendwo versteckt sein.
Während wir über die schmalen Wege des winterlichen Strecktalparks flanieren, kommt Theophil noch auf meine Ausgangsfrage zurück. „Die Bombe ist längst aus den Sinnen und dem Bewusstsein der Menschen verschwunden. Die von ihr wussten, sind längst tot. Dennoch bleibt sie als bloße Möglichkeit im Unterbewusstsein gegenwärtig. Sobald sich die Bombe als ein Gedankenblitz im Bewusstsein bemerkbar macht, wird sie schnell verdrängt und verleugnet. Sie würde ja sonst Angst und Panik auslösen.“
Verdrängen und Verleugnen entschärfen die Bombe nicht
Gleichwohl sich die menschliche Seele durch Verdrängung gegen die Bedrohung durch die Luftmine schützt, bleibt das Ding davon natürlich unberührt. Mit der Möglichkeit ihrer Explosion verhält es sich wie mit der Möglichkeit eines Autounfalls, einer Krebserkrankung oder der Armut. So sehr diese Unglücke persönlich geleugnet werden, so oft ereignen sie sich doch.
„Die Menschen verbannen den Gedanken an die Bombe aus ihrem Bewusstsein. Solange, bis der Badeofen durch Korrosion, der natürlichen Bewegung der Fundamente oder durch die Erschütterungen des Straßenverkehrs doch noch zündet. Dann erfüllt er seine ursprüngliche Aufgabe. Somit löst der Badeofen Häuser und Menschen in ihre Bestandteile auf. Die Leute leben so lange gut mit der versteckten Bombe. Bis es kracht.“
Bericht: Claude Otisse
Foto: Theophil Meisterberg