Im Leiden vereint: Darum helfe ich dir!
Im Leiden, im Schmerz und in der Erniedrigung sind wir alle vereint. In dieser jedem Menschen innewohnenden Bestimmung sind sich Einheimische und Geflohene, Fremde und Vertraute, Männer und Frauen, Junge und Alte, Reiche und Arme vollkommen gleich. Daher gebietet das Mitgefühl diese eine Tat: Du bist ein Mensch wie ich. Darum helfe ich dir!
Wenn ein Mensch in ärgster Not vergehend auf dem kalten Boden liegt, dann fühle ich mit ihm. Ich empfinde, wie der Schmerz quälend spitz in seine einsamen Glieder sticht. Ich spüre sein Leiden und erlebe es als sei es das Meine. Fühlend mit ihm als Mensch darnieder liegend, komme ich dem Erniedrigten nahe: Du bist ein Mensch wie ich: Darum helfe ich dir!
Springe zu einem Abschnitt:
Das Leiden stürzt den Hochmut in Scham und Wut
Der zwölfstrahlige Stern lag nur noch einen Schritt entfernt. Durchs erleuchtete Fenster sah ich Hunde-Tommy aus Claude Otisses Zimmer kommen. Vorsichtig zog er die Tür ins Schloss. Dann ging er durch den großen Raum davon. Er drehte sich nicht um. Dr.Thomas Busenberger nahm sprichwörtlich keine Rücksicht. Ganz kurz nur sah ich sein Gesicht, als er zufällig zum Fenster blickte. Aber er sah mich nicht. Er ging im hellen Licht des Raumes, ich stand Dunkel des späten Herbstes. Nein, von drinnen sieht man nicht, wer draußen ist.
Der Hochmütige verschließt die Augen vor dem Leiden. Das eigene Menschsein will er nicht im Spiegel des Elends sehen. Den Zwirn der Unverwundbarkeit streift er über, schlägt den Kragen hoch und zieht den Gürtel fester. Aufrecht stehend wähnt er sich erhaben. Doch schützt ihn die elegante Uniform? Schützen ihn die geschlossenen Lider vor dem Anruf des Leidenden?
Im blauen Anzug, kleinschrittig, fast tippelnd durchquerte er die Geistliche Hütte. Seine Züge verhärmt, die Augen starr, der Mund zur schneidenden Sichel der schmalen Lippen gepresst. Was mag geschehen sein in Otisses Zimmer? Was zwang Hunde-Tommy in diese Grimasse? Um das zu erfahren, musste ich mich ins Innere des Sterns begeben. Der welke Streuobstgarten wollte das Geheimnis nicht verraten.
Also betrat ich diese wundervolle Hütte, in deren Schoß wir gewöhnlich um den großen Tisch versammelt in Gottes Namen das letzte Gericht an der verworfenen Welt vollziehen. Wohlig floss die Wärme, hell und klar strahlte das klare Licht in diesem Stern der Auserwählten. Das vertraute Knarren der Eichendielen unter meinen Füßen klang nach süßer Heimat. So, als würde ich nach einer langen und beschwerlichen Reise müde und doch erleichtert zu Hause ankommen. Es war bereits Abend. Der Gemeinschaftsraum war leer. Die Arbeit es Tages war getan. Niemand mehr las jetzt in den Mappen, die fleißige Hände über den Tag wohl geordnet auf dem Tisch gestapelt hatten.
Die meisten Bewerbungen lagen in der Mitte, wo wir die Verworfenen versammelten. Schmale Hefte voller Hoffnungen, viele zu dünnen Bänden geheftete Leben, die für immer verworfen waren. Ohne jede Gnade wartete die Mitte auf ihr endgültiges Verschwinden. Für immer der Herrschaft des Geldes und den falschen Herren dienend, war diesen Verworfenen die ewige Gefangenschaft im Abgrund beschieden. Die Angenommenen an den Rändern des Tisches hingegen durften freudig ihrer Einladung ins Reich Gottes entgegen fiebern. Welch ein Jubel um die gute Nachricht wird sich dort erheben!
Entsprechend ihrer Lage auf unserem großen Eichentisch fanden wir nach und nach die Namen für die beiden Gruppen. Die Verworfenen in der Mitte hießen wir schlicht „Zentristinnen“. Die zum Eintritt ins Gottesreich bestimmten nannten wir „Extremistinnen“. Noch waren die Helferinnen der Registratur nicht gekommen, um die Mappen der Mitte abzuholen. Noch hätte jemand von uns die Entscheidung ändern können. Aber um diese Zeit? Nein, es war zu spät. Die Entscheidung war gefallen.
Wie einst in Sodom und Gomorrha verbrennt Gott Gerechte und Ungerechte in ihrem feurigem Urteil. Gott urteilt kalt, rücksichtslos und unberechenbar, indem sie uns auf ihre Richterstühle ruft. Unsere Willkür, unsere Trägheit und unser Unvermögen nutzt sie, um ihren mächtigen Plan ins Werk zu setzen. Dieses Werk trennt die Auserwählten von den Verworfenen.
Doch drängt mich meine Klage in ein tiefes Unbehagen. Mir erinnerten die wenigen Gebote, die Gott uns Auserwählten seit ihrem Erscheinen wissen ließ. Niemals sollen wir eine Gegend unsere Heimat nennen. Kein Heim, nur ein Obdach sollen wir uns bauen. Wir sollen uns niemals irgendwo zu Hause wähnen: Nicht auf dem Boden dieser Erde, nicht im Geiste der Moral, nicht in der Naturwissenschaft. Über diese Gebote sollen wir nicht klagen. Allein auf Gott sollen wir vertrauen.
Weil jedes Leben einestages an sich selbst zerbricht, gerät dem Hochmut die Gewissheit des eigenen Menschseins selbst zum Quell des Leidens. Eine ungeahnte Kränkung widerfährt ihm. Denn schon das bloße Angesicht des Leidens ficht ihn an. Als unleugbares Zeichen trägt das leidende Menschsein den Spiegel vor den Hochmut hin. Ihm wird der fremde Schmerz zum Schreckensbild des eigenen Niedergangs.
Er begründet das Leiden des Anderen mit seinem Wissen. Er spricht: „Dieser Mensch ist selbst schuld an seinem Schicksal. So soll er sich auch selbst aus dem Elend befreien!“ Doch just im Augenblick, da sein Mund die mitleidlosen Worte formt, ist der Anruf bereits in der Tiefe seiner Seele angekommen.
Dort, an diesem verborgenen Platz, weckt das fremde Leiden für eine Sekunde das Wissen um die eigene, beschämende Schwäche. Die aufsteigende Scham wiederum ist dem Hochmut unerträglich und weckt alsbald die Wut. Wie ein Maler zeichnen Wut und Scham das hart geschnittene Gesicht des Hochmuts. Doch dieses Gesicht bezeugt sein Leiden wie ein Eid. Es ist die Qual der hochmütigen Seele, die nicht mitfühlend Mensch sein will.
Die Rettung des Claude Otisse aus schlimmstem Leiden
Aber nun verscheuchte ich meine Gedanken, verschob die Überlegungen auf später. Schließlich wollte ich Claude Otisse besuchen. Er sollte mir sagen, was die Wut in Hunde-Tommys grimassierendes Gesicht gezeichnet hatte. Ich klopfte an Otisses Tür. Keine Antwort. Noch einmal klopfte ich dagegen, diesmal deutlich lauter. Ich hämmerte mit dem Knöchel meines rechten Mittelfingers so fest an Otisses Tür, dass der Aufprall schmerzte. Vergeblich.
Wieder ertönte kein einziger Laut von drinnen. Schließlich räumte ich die sperrige Höflichkeit beiseite, drückte den Griff hinunter und trat ein. Mir war, als verlöre der Globus seine Schwerkraft. Wie ein Schlag traf mich dieser Anblick, der mir das Oben und das Unten raubte. Ich prallte wie ein Gummiball an die Zimmerdecke, raste an die Wand und wieder zurück. Verstörend, was da zu sehen war: Otisse lang der Länge nach rücklings auf den Eichendielen, die Arme ausgestreckt wie zur Kreuzigung. Wenige taumelnde Schritte brachten mich an den Liegenden heran. Lebte er noch?
Otisses Gesicht war blau angelaufen, der Mund stand weit offen. Die Augen starrten zur Decke. Aber er lebte. Am Hals konnten meine Fingerkuppen ein ein schwaches pulsieren in der Halsschlagader tasten. Dann entwich ein tiefes Röcheln aus seinem Rachen. Ich sah hinein und erkannte einen glitzernden Gegenstand. Die Leuchtdiode meines Handys brachte Licht in die Mundhöhle. Am Gaumen stak ein Kronkorken fest. Ich spitzte meine Finger und zog den Korken heraus. Otisse begann zu atmen. Langsam hob und senkte sich die breite Brust.
„Otisse, Otisse! Kannst du mich hören?“ rief ich ihn an. Er reagierte nicht. Wenigstens nahm das Gesicht wieder eine natürliche, durchblutete Farbe an. Weil er nicht aufwachte, rief ich per Handy den Rettungsdienst unserer Gesundheitshütte herbei. „Wir kommen sofort!“ Unterdessen versuchte ich, den schweren Mann auf zu Seite zu drehen, weil der Korken eine kleine, blutende Wunde in den Gaumen gerissen hatte. Das Drehen gelang mir aber nicht. Also alarmierte ich per Kurznachricht die anderen Mitgliederinnen der Geistlichen Hütte.
Ester Berlin kam als Erste in Otisses Zimmer an. Dann folgten Svetlana und Theophil. Zuletzt traf Hunde-Tommy ein. Ester kniete an der Hüfte, Svetlana an den Knien, ich übernahm Schultern und Kopf. So drehten wir Otisse mit vereinten Kräften auf die Seite. Theophil brachte ein Kissen herbei, auf dem der Kopf gelagert werden konnte. Das Blut tropfte nun aus dem Mund zum Boden, konnte nicht mehr in die Atemröhre gelangen. Die Gefahr des Erstickens war gebannt. Jetzt würde Otisse überleben. Darin waren wir uns alle einig.
Schließlich erschien die Notärztin in Begleitung dreier Sanitäter. Sie legten Otisse einen venösen Zugang in den rechten Arm, setzten ihm eine Sauerstoffmaske auf, zogen eine sich selbst aufblasende Matte unter ihm durch und wuchteten den Mann endlich auf die Trage. Unter dem Gewicht des massigen Otisse stöhnend, transportierten die vier Retterinnen den Unglücklichen ab. Aber werden seine Leiden ein Ende finden?
Ratlos schweigend standen wir beieinander. Ester ging um Otisses Tisch herum. Sie öffnete das Fenster, denn es roch nicht gut. Ein starker Luftzug wirbelte die die feine Asche selbst gedrehter Zigaretten vom Tisch. Neben dem übervollen Aschenbecher standen eine leere und eine angetrunkene Bierflaschen. In der Nachbarschaft fand ich die angebrochene Tablettenschachtel. Otisse hatte vermutlich Antidepressiva eingenommen und mit Bier hinunter gespült. War diese fatale Kombination die Ursache des Umsturzes?
Ein böser Verdacht und eine Gewissensfrage
„Ich glaube nicht daran, dass ihn die Tabletten und das Bier umgeworfen haben. Vielleicht hatte er einen leichten Schlaganfall“, sagte Theophil. Der Pfarrer vermutete eine körperliche Erkrankung hinter Otisses Kollaps. Doch Ester Berlin war anderer Meinung: „Er muss beim Trinken den Kronenkorken nicht bemerkt haben, den er vorher selbst auf die Flasche gesetzt hatte. Es ist allgemein bekannt, wie sehr der Mix aus Psychopharmaka und Alkohol die geistige Leistung herabsetzt. Besonders Konzentration und Gedächtnis werden von diesen Substanzen stark angegriffen. Deswegen hat er den Korken schlicht vergessen und mit dem Bier in den Hals gesaugt.“
Mir allerdings schien der Weg des Kronkorkens in Otisses Rachen noch immer rätselhaft. Zwar nehme ich selbst höchst selten alkoholische Getränke zu mir. Wenn ich zu bestimmten Anlässen wie Weihnachten oder zu einem Geburtstag trinke, dann ein Glas Wein oder Sekt. Nur bei extremer Sommerhitze habe ich meinen Durst mit einem Flaschenbier gestillt. Aber wie gesagt, nur zu wenigen Gelegenheiten habe ich aus der Flasche getrunken.
Trotzdem konnte ich mir nicht vorstellen, wie dabei ein Kronkorken aus Versehen und Unbemerkt in den Rachen kommen kann. Nicht einmal im größten Rausch würde mir das an Zähne und Zunge stoßende Metall entgehen. Außerdem müsste der Mund den ganzen Flaschenhals umfassen. Nein. Nicht einmal ein Alkoholiker wie Claude Otisse schiebt sich freiwillig die halbe Flasche in den Hals.
Dieser Verdacht war derart finster,
dass ich ihn kaum zu Ende denken mochte.
Alle Versuche, Otisses Leiden zu erklären, scheiterten genau an dieser Stelle. Wie kam der Kronkorken in seinen Rachen? Je länger ich über darüber nachdachte, umso mehr stieg ein böser Verdacht aus dem Nebel der Mutmaßungen und Spekulationen auf. Dieser Verdacht war derart finster, dass ich ihn kaum zu Ende denken mochte. Denn ihm zufolge hätte jemand dem ohnmächtigen Otisse den Kronkorken absichtlich in den Hals gedrückt. Für die Tat käme nur eine Angehörige der Geistlichen Hütte als Täterin in Betracht.
Alleine diese Möglichkeit brächte eine unerzählbare eine Geschichte zu Gehör. Denn diese müsste davon berichten, wie eine Auserwählte in Gottes Reich einen anderen Auserwählten heimtückisch vom Leben zum Tode befördern wollte. Was wäre das für ein Paradies, in dem die Tücke das Heim regiert wie draußen in den Behausungen der verworfenen Welt?
Kein Paradies wäre das, kein Garten Eden, keine Insel der Freiheit. Ein Mord bezeugt das Gegenteil von Mitgefühl, Liebe und Solidarität. Also die Abkehr von allem, für das die Pirmasenser Kolonie der Auserwählten jemals stand. Erzählte ich die Geschichte dieses Sündenfalls, so raubte ich der verworfenen Welt auch die allerletzte Hoffnung auf ein gutes Leben. Und wenn sich die unerzählbare Geschichte tatsächlich zugetragen hätte?
Ich mochte mir die Gewissensnöte gar nicht erst vorstellen. Und doch spürte ich diese Klemme schon voraus. Ich sah dieses Leiden auf mich zu kommen wie weit entfernte Autoscheinwerfer in der Nacht. Noch war nicht erkennbar, ob dieser Wagen doch noch in eine Seitenstraße abbiegt, bevor er mich überrollt. Was gab es abzuwägen? Da war mein Amt als Pressesprecher der Kolonie. In dieser Aufgabe verband sich die Pflicht zur Wahrheit mit der Pflicht zur Verteidigung unserer Gemeinschaft. Käme ich einer Pflicht nach, würde ich die andere massivst verletzen. Entweder verriete ich die Wahrheit, oder die Pirmasenser Kolonie.
Es war also ernsthaft zu befürchten, dass die böse Tat eine ganze Kaskade weiterer Brüche nach sich ziehen würde. Womöglich wäre Schweigen der Ausweg, der Notausgang, durch den ich diesem Leiden entkommen könnte. Im Schweigen erforschte ich erst gar nicht, was Hunde-Tommy in Otisses Zimmer wollte. Damit wäre das Dilemma vermieden. Otisses Rausch bliebe die allein gültige Erklärung seines Unglücks und ich hätte meinen Frieden.
Der erzählte Schlaganfall
Der studierte Augenarzt Hunde-Tommy ereiferte sich sogleich mit einer weiteren Erklärung von Otisses Leiden: „Er könnte vom Alkohol berauscht und von den Psychopharmaka benebelt ausgerechnet in dem Moment einen Schlaganfall erlitten haben, da er zur angebrochenen Bierflasche griff, wobei er den Kronkorken in den Mund bekam. Gerade noch stellte er torkelnd die Flasche zurück, dann ist er rücklings umgefallen. Die Wucht des Aufpralls hat den Korken in den Rachen geschleudert.“
Theophil Meisterberg, Ester Berlin und Svetlana Nextgeneration hingen gebannt an Hunde-Tommys Lippen. Alle drei sogen jedes seiner Worte wissbegierig auf. Dann nickten die Frauen bedächtig, bevor Ester Hunde-Tommys Geschichte bestätigte: „Ja, das wäre eine Möglichkeit. Mehrere ungute Ereignisse sind zur selben Zeit zusammengekommen. Weil er bewusstlos am Boden lag, konnte Otisse den Kronkorken nicht mehr selbst aus dem Mund holen. Also bekam er keine Luft mehr, bis wir ihn fanden.“
Hunde-Tommy entwarf eine durchaus gerne geglaubte Wahrheit. Seine Erzählung klang nach logischen und leicht verständlichen Gründen, die zwangsläufig zu dem bekannten Ergebnis führen mussten: Otisses Leiden. Trotz aller Sorge um Otisses Gesundheit verschaffte diese Geschichte den Mitgliederinnen der Geistlichen Hütte eine gewisse Erleichterung, weil sie den Schrecken verstehbar erscheinen ließ. Ursache und Wirkung erscheinen in Hunde-Tommys Worten untrennbar aufeinander bezogen wie ein altes Ehepaar.
Warum hat er Otisse nicht
aus seinem Leiden geholfen?
Mir allerdings gereichte diese Erzählung nicht zu einer ganzen Wahrheit. Die Zweifel vermochten seine Worte nicht zu zerstreuen. Schließlich hatte ich Hunde-Tommy aus Otisses Zimmer kommen sehen, bevor ich den Halbtoten auf dem Boden entdeckte. Eine Tatsache, die noch andere Ursachen für Otisses Elend erahnen ließ als körperliche Gebrechen und depressive Schübe. Selbst wenn ich Hunde-Tommys Geschichte so lange glauben wollte, bis jemand eine bessere erzählte, bliebe immer die bohrende Frage: Warum hat er Otisse nicht aus seinem Leiden geholfen?
Wir redeten nicht mehr besonders viel an diesem Abend. Wohl aber kam Otisses schlechter Zustand zur Sprache. Wir hatten alle mitangesehen, wie es mit dem Journalisten abwärts ging und er sich immer mehr in die Einsamkeit seines Zimmers zurück zog. Dennoch wollte ich nicht in grenzenlose Selbstanklage verfallen. Denn die ist eng mit dem ungesunden Selbstmitleid verschwistert. Immerhin hatte ihn Theophil mit Gottbier und Ölsardinen versorgt, aber auch gesunde Äpfel Brot und Orangen lagen für ihn bereit. Dann habe ich das scheinbar zufällige Treffen mit der Psychoanalytikerin arrangiert, als Otisse nach dem Mann mit Hut suchte.
Der Mann mit Hut kennt zwar viele Geheimnisse seiner Zeitgenossen aus der verworfenen Welt. Aber ein Weiser, der Otisses drängende Lebensfragen beantworten könnte, ist er sicher nicht. Otisses Erwartung wäre ohnehin enttäuscht worden. Das dürre, etwa 60 Jahre alte Männlein streift seit Jahren Tag aus, Tag ein durch Pirmasens und beobachtet. Der Mann mit Hut beobachtet die Häuser, die Straßen, die Menschen und manchmal sogar den Himmel. Was er sieht, notiert er mit akademischer Genauigkeit mit klarer und schnörkelloser Handschrift in kleine Bücher mit leeren Seiten.
Oft habe ich mich gefragt, ob dieses wandernde Beobachten ein Leiden ist oder eine Leidenschaft. Wobei es mir in diesem Fall bisher nicht gelang, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Bericht: Fetthans Pirmasens