Wer investiert verliert! Die schöne Paula ist tot – Dritter Teil.
Wer investiert verliert! Diese Worte könnten aus dem Büchlein „1000 weise Sprüche für Ladenbesitzer“ stammen. Doch das wurde bislang noch nicht geschrieben. Weil dem so ist, zitiert der weise Satz eine andere Quelle. Nämlich den ganz besonders berufenen Mund einer bis in die letzte Faser ihres Daseins bankrotten Händlerin. Womöglich wäre sie als Schöpferin des weisen Spruchs sogar gut damit beraten, wenn sie das ungeschriebene Weisheitsbüchlein bald eigenhändig zu Papier brächte. Mit den Einnahmen aus dem Verkauf könnte sie den Absturz doch noch abwenden, denn es geriete bestimmt zum Bestseller. Andererseits würde das bedeuten, sie trotzte der unsichtbaren Hand des Marktes noch in letzter Sekunde eine gute Wendung ab. Aber eine solche Rettung sieht das Schicksal bankrotter Ladenbesitzerinnen nicht vor.
Wie dem auch sei, eines scheint mir völlig sicher: Die Pleitefrau bringt in ihren kargen Worten ein überaus reiches und nahrhaftes Wissen zu Gehör. Nämlich all die Erfahrung jener Geschäftsleute, die in der Innenstadt ihr Auskommen finden wollen, es aber nicht mehr können. Über eine lange Zeit hinweg gelingt den meisten ihr Vorhaben noch. Sogar mit durchaus beachtlichem Erfolg. Wer seine Lebenszeit, seine Kraft und einiges an Geld investiert, darf sich eines sicheren und komfortablen Daseins mit hohem Ansehen erfreuen, so predigt ihre althergebrachte Religion von Geschäftslage und Umsatz.
Aber heute regiert eine neue Wahrheit, eine neue Erfahrung die Geschäfte der Stadt: Wer investiert verliert! Wie und warum gerade diese Frau ausgerechnet mir ihre verzweifelte Botschaft anvertraute, werde ich einige Zeilen später beschreiben. Zunächst möchte ich weiter von meinem abenteuerlichen Marsch durch die verworfene Welt berichten. Denn vornehmlich ist diese auf die wankenden Gesetze der Ökonomie gebaut. Und genau dieses bröckelnde Fundament ist es wohl, an dem diese Welt scheitert und zuallererst zur verworfenen Welt wird. In ihr breitet sich in ihr die Erkenntnis wie ein zersetzendes Virus aus: Wer investiert verliert! Stimmt die Weisheit wirklich überall?
Nach der Begegnung mit dem seltsamen Oberst in der Winzler Straße bin ich an der tiefsten Stelle meines Weges angekommen. Ungefähr die halbe Strecke liegt hinter mir. Allerdings nur in der Entfernung gemessen. Selbstverständlich ist mit den zurück gelegten Kilometern schon viel geschafft. Aber die steilsten Anstiege des Horebs liegen noch vor mir. Das ist die Krise, der Wendepunkt. Selbst wenn ich umkehren wollte, zwänge mich der Rückweg zur Kolonie dieselben Steigungen hinauf, die ich soeben hinab gestiegen bin. Darauf muss ich mich mental einstellen und physisch vorbereiten.
Zwar weiß ich immer noch nicht, was eigentlich im Haus der toten schönen Paula für mich tun sein könnte. Gerade in der Sekunde dieses Gedankens erreicht mich eine zweite Kurznachricht von Hunde-Tommy. Der Augenarzt will wissen, ob ich bereits in der Fußgängerzone angekommen bin. Er bittet mich, dort ein kleines Einmachglas zu kaufen. Auf dem Handy erkenne ich noch einen weiteren Satz. Weil jedoch die Sonne zu intensiv scheint, kann ich die Worte nicht entziffern.
Der mehrstöckige Parkplatz des Kaufhauses gegenüber bietet mir den gewünschten Schatten im Übermaß. Doch im Inneren ist die Luft derart stark mit dem Abgas an- und abfahrender Autos gefüllt, dass ich diesen Ort aus Angst um meine Gesundheit doch lieber meide. Die Wissenschaft sagt schließlich, dass diese Gase sogar Lungenkrebs, Herzinfarkte und Schlaganfälle auslösen können. Außerdem heißt es ja auch, Autoabgase begünstigen gefährliche Infektionen.
Springe zu einem Abschnitt:
Wer investiert verliert? Nein. Die Wiesenstraße hält ihr Versprechen.
Wiesenstraße! Das Schild klingt wunderbar vielversprechend. Es verheißt den würzigen Duft von grünem Gras, das samtene Gefühl des Lebendigen unter der Fußsohle und das leise Schwirren summender Insekten über dem saftigen Klee. Also sehe ich mich hoffnungsvoll nach der versprochenen Wiese um. Gleich gegenüber des Kaufhauses entdecke ich schließlich die kleine Grünanlage.
Da sind der Bolzplatz, der Beton-Brunnen, Büsche, Bäume und Rabatte. Das fleißig gepflegte Grün lädt mich zur entspannten Pause ein. Der Straßenname hält also was er verspricht. Wer investiert verliert? Nein. Für diesen kleinen Park trifft die Weisheit der bankrotten Krämerseele gewiss nicht zu. Der Park gewährt mir freimütig seinen erholsamen Ertrag. Dies ist ein Ort des Guten inmitten der verworfenen Welt.
Die junge Kastanie breitet ihren milden Halbschatten über der Brunnenmauer aus. So heißt mich der Baum unter seinen Zweigen und Blättern freundlich willkommen. Wo ich mich gerne niederlasse und das Handy aus der Hosentasche ziehe. Noch einmal öffne ich mit einem schlanken Fingertipp die Nachricht von Hunde-Tommy. Im letzten Satz fordert er mich auf, möglichst bald bei ihm anzukommen. Über den Grund der Eile schreibt er allerdings nichts. Auch welche Art von Hilfe er benötigt, verbirgt der Freund weiterhin in seinem Schweigen. Ich tippe ihm zur Antwort, dass ich hoffentlich nach einer Stunde bei ihm auf dem Berg Horeb sein werde und – falls erhältlich – das kleine Einmachglas für ihn besorge.
„Ich bin Jagoda. Und wer bist du?“
Trotz nun besserer Sicht verfehle ich wiederholt den richtigen Buchstaben auf dem Bildschirm. Deswegen vergehen mehrere Minuten, bevor die Kurznachricht endlich fertig ist. Ohne die Autokorrektur hätte ich bestimmt noch länger gebraucht. Kopf und Oberkörper vornüber zum Smartphone gebeugt, bemerke ich diese Frau nicht. Daher bin ich überrascht, fast erschrocken, als die Fremde plötzlich vor mir steht. Eilig stecke ich das Handy in die Hose und sehe zu ihr auf.
Lächelnd hält sie mir ein Bier vors Gesicht: „Hier! Du bist eingeladen!“ Ich nehme die ungeöffnete Flasche natürlich gerne in Empfang. „Vielen Dank!“ Obwohl kein Parkbräu in der Flasche ist, sondern nur das bayerische Öttinger Pils, freut mich die Einladung doch sehr. Zwar ist die Mittagshitze im Schatten der Kastanie halbwegs erträglich. Aber der Schweiß rinnt nach wie vor in Strömen. Da kommt sogar dieses Gebräu zur Stärkung gerade recht.
Während ich nach dem Feuerzeug krame, es sofort finde und mit seiner Unterkante lässig die Flasche entkorke, setzt sich die Fremde neben mich auf die kleine Mauer. Sie lässt sich nieder in einer Manier, als würde sie mich schon immer kennen, prostet mir aufmunternd zu. Noch bevor der erste Zug durch meine trockene Kehle rinnt, erwidere ich höflich ihren Gruß. Unsere Flaschen stoßen klingend aneinander. Dann trinken wir beide einen großen Schluck. Sie wischt mit dem Handrücken den Schaum vom Mund und sagt: „Ich bin Jagoda. Und wer bist du?“ Wir reichen uns zögernd die Hände. Dann stelle auch mich mich kurz vor, wie es die Höflichkeit verlangt.
„Schön, dass du hier bist, Claude Otisse. Willkommen am Wedebrunnen!“ Hübsch ist sie, die Jagoda vom Wedebrunnen. Das halb lange, dunkelblonde, leicht gewellte Haar, die weibliche und doch sportliche Figur und die wachen, vor Witz und Klugheit sprühenden grünen Augen stehen ihr gut. So begegnet mir in der lässig mit einer weiten Jeans und einem weißen T-Shirt gekleideten Jagoda eine überaus anziehende Frau. Von ihrem lebendigen Wesen und dessen feinsinniger Erotik zutiefst berührt, vermag ich meine Blicke kaum noch von ihr zu lösen. Wer investiert verliert? Nein. Jagoda ist jede mit ihr zugebrachte Minute wert.
Entscheidung für die Freundschaft
Wie gerne bliebe ich länger noch als diese eine Flasche Bier. Jagoda lädt mich zum Verweilen ein. „Wir sind bestimmt gut hundert Leute hier am Wedebrunnen. Wir kommen zusammen, trinken reden und spielen miteinander. Willst du wirklich weiter ziehen, Otisse?“ Ja, ich muss. Der Ruf des Freundes treibt mich weiter.
Ich sehe Jagoda noch einmal an, treffe den erwartungsvollen Blick ihrer Augen. Wie verführerisch diese Frau doch ist. Würde Hunde-Tommy diese Gelegenheit ungenutzt vorüber ziehen lassen? Womöglich nicht. Aber für mich ist Freundschaft ein über allem stehendes Prinzip. Mein Verstand siegt über das Gefühl, die Vernunft regiert meine Sätze. Jagoda muss warten. „Ich muss weiter. Hoch auf den Berg Horeb muss ich jetzt, wo ein Freund auf mich wartet.“ Als ich diesen Satz zu Jagoda spreche, erschaffe ich den Abschied. Sie erhebt sich von der Mauer, dreht sich um und schaut hinüber zu ihren Freunden auf der anderen Seite des Parks. Ihr Lächeln ist verschwunden. Ihre Freundlichkeit versickert in Enttäuschung. Sie zahlt den Preis meiner Tugend.
Als ich meinen Körper aufrichte, verspüre ich einen stechenden Schmerz im Unterleib. Die nunmehr pralle Harnblase brennt nach der nächsten Leerung. Schon fühle ich die erste Feuchte in der Hose, die von drinnen nach draußen strebt. Hektisch wende ich mich dem Stamm der jungen Kastanie zu. Mit der linken Hand zerre ich am Reißverschluss. Doch der Versuch, die Hose zu öffnen misslingt, weil sich die Zähne im Schlitten verklemmen. Die leere Bierflasche in der rechten Hand verhindert den finalen Eingriff.
Folglich bleibt nur diese eine Entscheidung übrig. So wie einst David den Stein gegen Goliath schleuderte, werfe ich die Flasche in hohem Bogen gegen die Betonwand des großen Parkhauses. Das braune Glas zerspringt über einem Graffiti knallend in tausend kleine Splitter. Dabei wird offenbar, wie die Not die besten Kräfte in mir weckt. Ohne die Flasche vermag ich meine Befreiung beidhändig ins Werk zu setzen.
Der Widerstand der Dinge weckt im Manne erst die wahre Männlichkeit. Fest entschlossen gelingt mir nun ohne jedes Zaudern mit festem Griff, was vorhin nicht glücken wollte. Der Reißverschluss ist endlich offen, der Sieg scheint greifbar nahe. Gerade ziehe ich der Erlösung entgegen fiebernd meinen Penis hervor und will dem drängenden Urin endlich das geforderte freie Geleit gewähren, da tippt mir Jagoda an die Schulter.
„Schau‘ mal da, Otisse! Komm mit! Dort hat die Stadtverwaltung ein Urinal für Trinker gebaut. Geh‘ dort pinkeln, nicht an der Kastanie. Dann stinkt deine Pisse nachher nicht so fürchterlich!“ Ich unterbreche den entfesselten Strom noch bevor er zu fließen beginnt, indem ich den Penis zwischen Daumen und Zeigefinger fest zusammendrücke. Lasse ich jetzt los, dann ergießen sich der Rhein und die Mosel über den Park. Bloß nicht locker lassen. Jagoda geht voraus zum Urinal. Ich folge ihr. Doch mit der Hand am Penis fällt mir das Gehen schwer, gerät zu einem bemitleidenswerten Humpeln.
Der dralle Hintern von Jagoda
Jagoda dreht ihren drallen, birnenförmigen Hintern hypnotisierend vor mir hin und her. Sie geht schneller als ich, erreicht das Urinal sich dehnende Sekunden vor mir. Das Missgeschick passiert mir doch. Ganz leicht nur stolpere ich über ein arglos auf dem Boden liegendes Steinchen. Unwillkürlich lockere ich mein Griff. Dann geschieht, was nie geschehen sollte.
Der Urin sprüht so druckvoll aus der Röhre, dass die Sonne in den zart gelben Tropfen beinahe einen Regenbogen spannen wollte. Aber ich drücke aufs Neue kräftig zu. Dennoch bin ich unwiderruflich eingenässt. Ich fühle wie die warme Flüssigkeit über meine Hand und sogleich am Bein hinunter in die Sandale rinnt. Schwitzend und angestrengt erreiche ich endlich das stählerne Urinal. Jagoda schaut mir bei der Leerung zu.
Angekommen. Über der kreisrunden Öffnung aus blankem Stahl löse ich die Umklammerung. Dafür ist es an der Zeit, denn die Spitze färbt sich bereits dunkelblau. Ein wahrer Strom ergießt sich vor mir in den finsteren Abfluss und rauscht in die Unterwelt davon. Welch eine Erlösung aus der Qual! Ich stopfe meinen geplagten Penis in die durchweichte Hose, zerre dann mit einiger Mühe den Reißverschluss nach oben.
Und wieder lächelt Jagoda. Sie mustert dabei aufmerksam meinen Schritt. „Bei dieser Hitze wird das schnell trocken“, meint sie zu dem breiten Fleck auf meiner Hose. Dann verabschiedet sie sich mit einem „Tschüss! Bis bald!“ Sie kehrt zu der Gruppe auf der anderen Seite des Parks zurück. Wer investiert verliert? Nein. Auch dieses Urinal ist ein ertragreiches Geschäft für die Männer vom Wedebrunnnen. Die Frauen müssen nach wie vor ins Gebüsch.
Mutig voran in die Fußgängerzone
Ich stehe noch eine kleine Weile in der guten Stube von Pirmasens und halte nachdenklich inne. Wie gehe ich am besten weiter zum Horeb? Wer investiert verliert. Wenn ich ein kleines Einmachglas erwerben will, dann muss ich in die Fußgängerzone, dem Ursprungsort des weisen Spruches. Ich entschließe mich, den Weg über die Ampel an der Pirminius-Straße zur Pfarrgasse zu nehmen.
Diese Strecke erspart mir die Nähe zum Polizeipräsidium. Dort will ich keinesfalls zu dicht vorbei gehen, weil ich Angst habe, von einer schwarzen Schwadron mit Elektroschocks gefoltert zu werden. Schließlich bin ich alleine, zu Fuß und unbewaffnet unterwegs. Genau vor der Situation hat mich der Oberst eindringlich gewarnt. Ich trotze der Angst und gehe mutig los.
Die steile Rampe in der Pfarrgasse neben der Lutherkirche macht mir zu schwer schaffen. Die Steigung erlegt mir eine schwere Buße auf. Drei selbst verschuldete Hemmnisse schwächen meine Körperkräfte: die Müdigkeit nach durchwachter Nacht, die nasse Hose und die schwere Hitze. Trotz der Behinderungen bewältige ich die 40 Meter lange Steigung wenn auch langsam, so doch mit schönem Erfolg.
Wenn sonst niemand in die Hände klatscht, dann applaudiere ich mir eben selbst. Ja, ich bin mutig. Vielleicht sogar wagemutig. Denn ich biege in diesem Augenblick um die gelbe Ecke der Lutherkirche in die Fußgängerzone. Ab jetzt gilt es, einfach nur unbeschadet durchzukommen. Mein Ziel ist ein Laden für Haushaltswaren. Er soll zwischen dem Schlossplatz und dem Ende der Fußgängerzone an der Ringstraße auf der rechten Seite zu finden sein. Dort muss ich hin, dort will ich das von Hunde-Tommy gewünschte kleine Einmachglas kaufen.
Flüchtlinge helfen in der Not
Ein älterer Mann kommt mir entgegen, vermutlich ein Rentner. Er schleppt sich mühsam auf den Rollator gestützt über das löchrige Basaltpflaster. Plötzlich kippt die Gehhilfe zur Seite und fällt um. Der Mann verliert den Halt, als er mit dem rechten Fuß auf einen lose herumliegenden Stein tritt und stürzt zu Boden. Nur wenige Zentimeter vorm Sockel der Kirche kommt er zu liegen. Ich eile zu dem Gefallenen hin. Zwei dunkelhäutige junge Männer kommen ihm ebenfalls zu Hilfe. Es sind Syrer. Einer der beiden kniet nieder und spricht den Alten an. „Ist nicht so schlimm“, antwortet der Senior. Nur die Hand blutet, mit er sich im Reflex gegen den Boden abstützen wollte. „Lasst mich, es geht schon“, wiegelt er ab.
Gemeinsam richten wir zuerst den Rollator auf. Dann wenden wir uns dem verunglückten Mann zu. Dank vereinter Hilfe steht auch er gleich wieder auf den Beinen. Allerdings muss die Schürfwunde an der Hand verbunden werden, bevor sich der Alte wieder auf seine Gehhilfe stützen kann. Hassan, der ältere der beiden Syrer, sieht sich die Verletzung genau an. Dann telefoniert er kurz mit dem Handy, spricht Arabisch, was ich nicht verstehe. Es dauert nur wenige Minuten, dann kommt eine junge Frau mit Kopftuch aus einem der Häuser gegenüber. Sie trägt eine Arzttasche herbei. Während der jüngere der beiden Syrer den Senior stützt, reinigt und verbindet Hassan fachkundig die Wunde.
Unterdessen lese ich die verstreuten Sachen des alten Mannes zusammen und hebe sie auf. Viele Dinge hat er nicht bei sich. Eine Flasche mit Rasierschaum, Klingen, eine Tube Zahnpasta und das Portemonnaie lege ich in die Tasche zurück. Ich sehe mich noch etwas um. Dabei bemerke ich, wie der Schatten einer Person hinter dem Fenster des Gemeindezentrums der Lutherkirche eilig verschwindet. Offensichtlich hat dort jemand das Unglück des Seniors aus dem Schatten heraus beobachtet. Ich stelle die Einkaufstasche zurück in den Korb des Rollators.
Wer investiert verliert: Raub auf offener Straße
Unbemerkt vom Geschehen an der Lutherkirche drängt sich eine Gruppe Jugendlicher um eine Blumeninsel. Plötzlich löst sich eine junge Frau aus der Runde und stürmt heran. „Scheiß‘ Kanaken!“, kreischt sie. Wie ein Blitz greift ihre Hand in die Tasche des alten Mannes. Dann rennt die Jugendliche mit der Geldbörse davon. Sie ist derart schnell, dass niemand Straßenräuberin Einhalt zu gebieten vermag. Die anderen Jugendlichen spurten ebenfalls los. Ein Junge zeigt noch schnell den Stinkefinger. Hassan sieht mich schweigend an. Der Senior wimmert und beginnt zu weinen. „Da war meine halbe Rente drin. Von was soll ich jetzt mein Essen kaufen?“ Die zuvor noch gekippten Fenster des Gemeindehauses sind mittlerweile fest verschlossen.
Hassan versucht den verzweifelten Alten zu beruhigen. „Wir finden eine Lösung wegen der Rente“, verspricht er ihm tröstend und untersucht derweil den schmerzenden Knöchel. „Verstaucht, hoffentlich nicht gebrochen“, lautet Hassans erste Diagnose. Er bittet die junge Frau mit den Kopftuch und den jüngeren Syrer, den noch immer klagenden Senior in seine Wohnung zu begleiten. Diese beiden werden sich später um die weitere Behandlung des Mannes kümmern, sagt Hassan. Der Weg zur Wohnung ist nicht weit. Es sind nur wenige hundert Meter. Nur das löchrige Pflaster bedroht den Senior jetzt noch. Doch auf die beiden Helfenden gestützt, wird ihn heute kein Loch mehr zu Fall bringen.
Das Dreiergespann bricht langsam mit sehr vorsichtigen Schritten auf, während ich mit Hassan noch einige Minuten an der Unfallstelle verweile. Der hilfsbereite Syrer schaut nachdenklich zu jener Blumeninsel hinüber, wo eben noch die räuberischen Jugendlichen beieinander standen. Zwischen den Pflanzen macht sich eine fette Ratte an einer zerknüllten Bäckertüte zu schaffen. Vermutlich hat das Nagetier eine Witterung aufgenommen und hofft auf eine schnelle Beute.
„Die kommen vom Gymnasium oben auf dem Horeb. Aber man kann nichts gegen die Bande machen. Wenn die Polizei kommt, lügen sie. Die behaupten einfach, wir wir wären es gewesen. Aber die Polizei glaubt denen, nicht uns. Für die Polizei sind wir auch nur Kanaken und Kartoffeln“, sagt Hassan. Auch daran wird es klar. Wer investiert verliert. Ja. Hier stimmt die Weisheit der Krämerseele. Die verworfene Welt investiert in die falsche Bildung.
Großes Glück für kleine Münzen
Den Schatten der verrammelten Kirchenbauten verlassend folge ich der Fußgängerzone hoch in Richtung Schlossplatz. Vorbei an der großen Drogeriekette Müller gelange ich zum Kaufhaus Woolworth. Der Pirmasenser Dialekt nennt den Laden schlicht Wollwort. Ohne das ‚th‘ sprechen die pfälzischen Zungen den amerikanischen Namen eindeutig leichter aus, außerdem bevorzugt der Dialekt jene Worte, deren Schreib- und Sprechweise gleich sind. So ist der Wollwort, aber nicht das Woolworth eines der letzten Monumente entlegener Kinder- und Jugendtage, das alle Stürme der vergangenen Jahrzehnte bis heute überstanden hat. Über die Bilder meiner Erinnerung sinnierend betrachte ich den gläsernen Eingang.
In den Kindertagen besuchte ich den Wollwort meist in der Vorweihnachtszeit. Ich suchte dieses Kaufhaus auf, weil seine Regale vergleichsweise erschwingliche Waren feil boten und sich mein Taschengeld in spärlichen Dimensionen bewegte Daher war der Wollwort für mich gemacht. Schließlich verfolgte ich den ehrgeizigen Plan, für beide Großmütter, beide Geschwister und selbstverständlich für die Eltern wenigstens ein kleines Geschenk zu ergattern. In den Kaufhäusern Merkur, Moster und Kaufhalle überstiegen die Preise oft deutlich mein Budget. An die anspruchsvollen, in meinen Augen geradezu luxuriösen kleineren Geschäfte war in meiner Kinder- und Jugendzeit erst gar nicht zu denken. Aber dank Wollwort blieb mir die fürchterliche Peinlichkeit erspart, vor aller Augen mit leeren Händen unterm reich geschmückten Weihnachtsbaum zu stehen.
Heute sind viele der damals Beschenkten längst nicht mehr am Leben. Die noch unter uns sind, würden sich von Wollwort-Geschenken vielmehr beleidigt als beschenkt wissen. Mag sein, ich habe den Wollwort deswegen seither nicht mehr betreten. Obwohl ich soeben kurz den Gedanken hatte, hier nach dem keinen Einmachglas zu suchen, verwerfe ich diese Idee sogleich.
Trotzdem: Wer investiert verliert? Nein. Der Wollwort lohnt sich sichtlich. Sonst wäre auch dieses Kaufhaus wie die anderen schon geschlossen. Aber in diesem hier scheint ein heiteres Licht über die Regale und Tische voller Ware. Ein kleines Sozialgeld reicht für große Ware. Ein weißes Hemd, rot-schwarz gestreifte Stümpfe und sogar noch eine graue Hose mit Knopf an der Gesäßtasche sind immer drin. Ein paar Schritte weiter gibt es für diese handvoll Münzen vielleicht mit etwas Glück ein Dreiersack mit weißen Unterhosen. Darum herrscht im Wollwort besonders um den ersten Tag des Monats stets ein famoses Gedränge.
Eine frische Hose wäre auch mir jetzt mehr als angenehm. Denn seit dem Schultertipp der freundlichen Jagoda vom Wedebrunnen saugt in meinem Beinkleid noch immer der tragisch fehlgeleitete Urin an den empfindlichsten Stellen der Haut. Soeben schreite ich am Café Venezia vorbei, da sticht es merklich spitz in die Leistengegend. Bestimmt reibt die dicke Hosennaht eine wunde Stelle blutig.
Es mag eine fürchterliche Wunde sein. So ein Schnitt ins Fleisch, wie ihn für gewöhnlich die Hörner des über dem großen Brunnen thronenden Tieres in Gemüter der Menschen stechen. Vielleicht wäre der Fluch des Minotaurus vom Schlossplatz mit einer oder zwei Flaschen Gottbier intus und bei robuster seelischer Gesundheit noch abzuweisen. Aber der Schrecken in meiner Hose könnte bis zum Abend zu einem wahren Desaster heranwachsen. Ich sehe das schmutzig betonierte Bismarck-Denkmal mit dem Drachentöter oben auf. Der Anblick dieser Widernis schürt in mir die Furcht vor zersetzenden Infektionen, Blutvergiftung und mit ihnen einher gehendem Zerfall. Wer investiert verliert? Ja, an diesem Ort findet die Weisheit der bankrotten Ladenbesitzer ihren unübersehbaren Beweis.
Sodom und Gomorrha der Haushaltsware
Mir scheint jetzt bedingungslose Eile geboten. Von der Abscheulichkeit obszöner Architektur und dem Feuer in der Hose gleichermaßen getrieben, beschleunige ich das Tempo und entferne mich mit weiten Schritten vom Schlossplatz. Die Entfernung in der einen wirkt die Nähe in der anderen Richtung. Somit rückt das Zwischenziel heran. Sogar tagsüber leuchten die Schaufenster, Körbe mit Dosenöffnern und Besteckhaltern verführen schon vor der Tür zum spontanen Kauf. Nun übertrete ich die Schwelle zu diesem Sodom der Haushaltswaren, dem Gomorrha der Tischdekoration.
Welcher Ekel würgt in diesem Laden meine Kehle? Welcher Gestank vergiftet mir den freien Atem? Vor dezenten Spiegeln preisen die Regale teure Bestecke aus Edelstahl, Gold und Silber an. Wertvolle Töpfe, Kasserollen und Pfannen stehen mir Spalier. Grün gelackte Grillstationen für Gas, Kohle und elektrischen Strom bannen gewaltsam meinen Blick. Aber das alles ist nicht, was mir den Hals hinunter in die Lunge ätzt. So schuldig und gestohlen diese Dinge auch strahlen mögen, sie sind nicht schuld an meinem Unwohlsein. Auch nicht die italienischen Kaffeeautomaten und die Schweizer Taschenmesser. Schuld hat diese verdammte Maske.
Fast hätte ich den Mund- und Nasenschutz gegen das neuartige Coronavirus vergessen. Ist ein Piktogramm an der Türe zu sehen? Ich meine nein. Jedenfalls bin ich schon drinnen, als ich den verpissten Lumpen aus der Hosentasche ziehe und mir in die Fresse klebe. Das Stück Stoff ist wie die Hose vom Urin komplett durchweicht, die Farbe changierend von gelb nach braun nach grau nach weiß. Diese Farben atme ich in diesem Haushaltswarenladen. Unwillkürlich wie unter geisterhaftem Zwang konjugiere ich flüsternd das Verb: verwesen.
Ich verwese, du verwest, er, sie, es verwest, wir verwesen, ihr verwest. Bevor ich bei der letzten Form von verwesen ankomme, unterbricht mich eine raue Stimme. „Was willst du hier?“ Hinter dem Regal mit den Töpfen für den Induktionsherd tritt plötzlich eine Frau hervor. Blaues Kostüm aus Rock und Jackett, über der rein weißen Bluse ein gebundenes, senfgelbes Tuch, flache dunkelblaue Schuhe, das Haar glatt, grau und kurz. Eine Frauen-Erscheinung wie sie unauffälliger kaum sein könnte. Eine wie sie überall zu sehen ist, aber an die sich niemand je erinnert, weil sie an jedem menschlichen Gedächtnis vorüber geht.
Die Frau fragt zwar, was ich will. Dennoch lässt sie mich meinen Wunsch nicht vorbringen. Sie fällt mir ins Wort. Die Frage nach dem kleinen Einmachglas bleibt im feuchten Stoff meiner Maske stecken, als sie sagt: „Das Ding kannst du absetzten. In meinem Geschäft gibt es keine Maskenpflicht!“ Ich überlege noch. Der Gestank überschreitet weit die Ekelgrenze, auch wenn es die Dünste meiner eigenen Pisse sind. Wenn ich auf die Maske verzichte, fallt mir das atmen sicherlich leichter. Andererseits ist die Infektionsgefahr in einem Laden wie diesem völlig unvorhersehbar. In solchen Räumen sind enorm viele Gegenstände versammelt, auf deren Oberfläche gefährliche Viren und Bakterien überleben können.
Auch die vorübergehende Frau ist wahrscheinlich infektiös, weil sie den ganzen Tag über im Laden steht und dabei viele unbekannte Menschen trifft. Somit ist es von Vorteil, nur kurz in dem Geschäft zu verweilen und dabei die Maske trotz ihres Gestanks zu tragen. „Nein, ich möchte die Maske aufbehalten“, antworte ich. Sie schaut unter sich, verbirgt das Gesicht. Dann fragt sie erneut: „Was willst du?“
Das kleine Einmachglas
„Ich hätte gerne ein kleines Einmachglas“, äußere ich endlich meinen Wunsch. Allerdings verlangt die Händlerin postwendend nach einer genaueren Angabe. Sie will wissen, wie klein das Einmachglas sein und ob es einen Dreh- oder Schnappverschluss haben soll. Wieder denke ich kurz nach. Die Kurznachricht von Hunde-Tommy sagt nichts über diese Eigenschaften des Einmachglases. Folglich bin ich gezwungen, auch diese Fragen nach eigenem Ermessen zu beantworten. Also treffe ich meine Wahl.
„Das kleine Einmachglas soll ungefähr einen Liter Flüssigkeit fassen können und einen Verschluss aus Metall besitzen“, präzisiere ich meinen Wunsch, ohne zu wissen, ob dies tatsächlich Hunde-Tommys Vorstellung entspricht. Erfahren werde ich das erst später. Nämlich in dem Augenblock, wenn ich das Haus der toten, schönen Paula auf dem Berg Horeb erreiche. Vor mir nickt das blaue Kostüm und verschwindet schnellen Schrittes in einem der hinteren Räume.
Sie ist schnell. Noch bevor ich die Erscheinung der vorübergehenden Frau wieder vergesse, ist sie zurück und stellt sie ein kleines Einmachglas auf den gläsernen Tresen an der Seite des großen Verkaufsraums. Während ich mich über das kleine Einmachglas mit Schnappverschluss und ungefähr einem Liter Fassungsvermögen beuge und es eingehend von fünf Seiten begutachte, entfernt sie sich um mehrere Schritte zur Seite hin. „Normalerweise bediene ich keine Penner“, sagt das blaue Kostüm. Die Frau mustert mich von oben bis unten. Ich merke, wie sich ihr Blick am gelblichen Urinfleck auf meiner Hose verfängt und starrend haften bleibt. „Dein ungepflegtes Aussehen und der Gestank verschrecken jeden anständigen Kunden“, fährt sie mit den Beleidigungen fort.
Wer investiert verliert: Die bittere Wahrheit
Während das blaue Kostüm seine tumben Beschimpfungen zum Besten gibt, betrachte ich das Wandregal hinter dem gläsernen Tresen. Dort reihen sich auf drei Etagen wohlfeile Thermokannen aneinander. Plötzlich kommt mir ein Bild in den Sinn, solche Kannen habe ich schon einmal gesehen. Ich frage das blaue Kostüm: „Diese Kannen hier werden doch gerade bei Woolworth zum Aktionspreis angeboten. Hier kosten sie 39,90 Euro, bei Woolworth nur 9,99 Euro. Woher kommt der Unterschied?“ Wer investiert verliert? Ertappt. Das Unleugbare zu leugnen erscheint nun sogar dem blauen Kostüm sinnlos.
„Wer investiert verliert! Vor 32 Jahren habe ich das Geschäft von meinen Eltern übernommen. Mein halbes Leben habe ich in diesem Laden geschuftet. Mein Arbeitstag hat 14 Stunden und mehr. Es gibt für mich keinen Samstag und und keinen Sonntag. Und jetzt kommst du verkommener und verpisster Kerl daher und sagst mir meine Pleite auf den Kopf zu“, schmettert das blaue Kostüm über den Tresen. Sie gesteht: „Ja, ich habe Schüler losgeschickt, die Kannen bei Woolworth aufzukaufen. Meine Lieferanten liefern nicht mehr. Die wollen jetzt ihre Ware zurück holen. Was bleibt mir übrig?“
Wer investiert verliert. Wenn ich mich so umsehe wird mir klar, wie viel Geld sie erst kürzlich investiert haben muss. Die Regale, der Boden, die Decke, die Kasse und vor allem die LED-Lampen sind neu und unverbraucht. Eigentlich sieht dieses Etablissement wie ein wundervoll gestalteter, luxuriöser Haushaltswarenladen aus. „Warum gilt das bei ihnen: Wer investiert verliert?“
Erst kreischt sie wieder Beleidigungen. Die Scham des Niedergangs bricht sich wütend ihre Bahn. Aber sie beruhigt sich und antwortet doch: „Schau doch mal zum Fenster raus. Überall Flüchtlinge, Hartz-IV-Empfänger und arme Rentner. Die kaufen nicht bei mir. Konfirmanden und Kommunionkinder gibt es kaum noch. Die jungen Leute mit Geld bestellen im Internet. Jetzt kommt auch noch die Corona-Seuche. Seither kommt gar niemand mehr herein, weil alle Angst vor Ansteckung haben. Vorigen Monat habe ich meinen Angestellten gekündigt. Das Haus ist beliehen und Rente bekomme ich auch keine. Ich kann die Raten bei der Bank, beim Finanzamt und bei der Krankenkasse nicht mehr bezahlen. Die einzigen, die außer dir schäbigem Penner noch in meinen Laden kommen, sind die Geschichtsvollzieher.“
Morphium gegen Covid19
Wer investiert verliert. Dieses blaue Kostüm hat endgültig abgewirtschaftet. Über der Fußgängerzone kreisen Tag und Nacht die Pleitegeier. Die hier ist eines der Opfer. Manche existieren als Schattenexistenzen weiter. Aus Verzweiflung setzten die Bankrotten all ihre kriminelle Energie daran, dem vorgezeichneten Schicksal zu entkommen. Daher der Betrug mit den asiatischen Thermokannen, über denen zu allem Elend auch noch der verlogene Spruch „Made in Germany“ prangt.
In Wahrheit jedoch ist diesen Krämerseelen der Untergang per Erziehung in Fühlen und Denken eingeschrieben. Sie sind auf die modernen Zeiten nicht vorbereitet. Deswegen treiben sie unaufhaltsam in den Abgrund. Dante jedenfalls würde diese Hölle zwar mit heller Freude, aber auch mit einem gerüttelten Maß an Neid betrachten. Denn so eine böse Qual ist selbst diesem schöpferischen Dichter nicht eingefallen. Empfinde ich Mitleid? Nein, kein Mitleid. Genauso wenig wie mich ihre Beschimpfungen empören. Das blaue Kostüm geht an mir vorüber, die Frau ist niemand. Daher schimpft niemand.
Das blaue Kostüm nähert sich zügig dem kleinen Einmachglas auf dem Tresen, steht mir schließlich gegenüber. Rechts, etwa einen Meter daneben, liegt eine aufgeschlagene Zeitung über der Vitrine. Eine große Traueranzeige ist zu sehen. Als sie mein Interesse bemerkt, fühlt sie sich offenbar zu einer Erklärung genötigt: „Meine Mutter ist gestorben. Sie war 84 und lebte in der Seniorenresidenz Himmelfahrt. Mutter hatte Covid19. Als die Schmerzen auf der Lunge schlimmer wurden und sie kaum noch atmete, verabreichte mein Hausarzt etwas Morphium. Sie ist friedlich eingeschlafen.“ Ja, wer investiert verliert. Wie die Tochter verbrachte auch die Mutter die meiste Zeit des Lebens im Bankrottgeschäft.
Die Huissiers warten schon
Da hat das blaue Kostüm neben dem finalen Bankrott auch noch einen Schicksalsschlag zu verkraften. Wer investiert verliert. Natürlich hat sie hat Recht. Die Weisheit stimmt. „Ich nehme das kleine Einmachglas“, sage ich zum blauen Kostüm. „Macht 15,99 Euro“. Ich krame das Geld aus der noch immer urinfeuchten Hose und lege einen zerknittert-nassen 20-Euro-Schein auf den blitzblanken Tresen. Ich will nicht geizig sein: „Stimmt so!“ Vielleicht reicht das Trinkgeld für eine Bratwurst und eine Cola. Indessen steckt die Geschäftsfrau das Glas in eine Plastiktüte und reicht mir meinen Einkauf herüber. Das kleine Einmachglas wollte ich haben, nichts außer ihm. Also verlasse ich grußlos den Laden.
Vor der Tür nehme ich endlich die stinkende Maske ab und genieße mit einem befreiten Atemzug die saubere Luft. Den dreckigen Lumpen mit spitzen Fingern haltend, lasse ich den Abfall in den Korb mit den Korkenziehern fallen. Gerne hätte ich noch über die Korbware gepisst. Jedoch hindern mich zwei vermaledeite Anzugträger an meinem Vorhaben, die zielstrebig mit ihren schwarzen Koffern in den Händen zum Haushaltswarengeschäft eilen. Huissiers wahrscheinlich. Wer investiert verliert. Was lehrt schon die alte Geschichte von Sodom und Gomorrha? Ich schaue nicht zurück, sondern mache mich auf den Weg zum Gipfel des Berges Horeb, wo Hunde-Tommy bei der Leiche der schönen Paula wartet.
Bericht: Claude Otisse